Grischa: Goldene Flammen
gelangweilten Soldaten bewacht.
»Eine neue Gefangene?«, fragte einer.
»Eine Besucherin«, antwortete Iwan.
»Seit wann begleitest du Besucher in die Zellen?«
»Seit heute Abend«, sagte Iwan mit drohendem Unterton.
Die Wachen tauschten einen nervösen Blick und traten dann beiseite. »Nur nicht aufregen, Blutsauger.«
Iwan führte mich durch einen Flur, der von zumeist leeren Zellen gesäumt war. Ich erblickte ein paar zerlumpte Männer und einen Betrunkenen, der schnarchend auf dem Boden lag. Iwan schloss das Tor am Ende des Flures auf und wir stiegen eine wackelige Treppe zu einem fensterlosen Raum hinunter, der nur von einer flackernden Kerze erhellt wurde. Im Zwielicht konnte ich die schweren Gitterstäbe der einzigen Zelle erkennen. Ihr Insasse kauerte ganz hinten an der Wand.
»Maljen?«, flüsterte ich.
Er sprang sofort auf und wir klammerten uns zwischen den Stäben aneinander, hielten uns fest bei den Händen. Ich wurde von unkontrollierten Schluchzern geschüttelt.
»Pssst. Alles ist gut, Alina. Alles ist gut.«
»Ihr habt die Nacht für euch«, sagte Iwan und stieg die Treppe hinauf. Als wir hörten, wie das Tor oben klirrend ins Schloss fiel, sah Maljen mich an. Er lieà seinen Blick über mein Gesicht gleiten.
»Kaum zu glauben, dass er dir erlaubt hat, mich zu besuchen«, sagte er.
Frische Tränen liefen über meine Wangen. »Er hat es mir erlaubt, weil â¦Â«
»Wann?«, fragte er heiser.
»Morgen. Auf der Schattenflur.«
Er schluckte und ich konnte ihm ansehen, wie er versuchte, diese Neuigkeit zu verdauen. Doch er sagte nur: »Na gut.«
Mir entwich ein Laut, der halb Lachen und halb Schluchzen war. »Dein Tod steht kurz bevor und du sagst âºna gutâ¹? So etwas bringst nur du fertig.«
Er lächelte. Dann strich er mir die Haare aus dem tränenüberströmten Gesicht. »Wie wäre es mit âºoh, neinâ¹?«
»Wäre ich doch nur stärker, Maljen â¦Â«
»Wenn ich stärker gewesen wäre, hätte ich dir ein Messer ins Herz gestoÃen.«
»Hättest du das nur getan«, murmelte ich.
»Tja, ich habe versagt.«
Ich senkte den Blick auf unsere ineinander verschränkten Hände. »Was der Dunkle auf der Lichtung über ⦠sich und mich gesagt hat, Maljen ⦠das war ⦠ich habe nie â¦Â«
»Das kümmert mich nicht.«
Ich sah zu ihm auf. »Wirklich nicht?«
»Nein«, sagte er eine Spur zu scharf.
»Ich glaube dir nicht.«
»Vielleicht kann ich es selbst nicht glauben, jedenfalls nicht ganz, aber es ist die Wahrheit.« Er drückte meine Hände noch fester, presste sie auf sein Herz. »Und wenn du mit ihm nackt auf dem Dach des Kleinen Palastes tanzen würdest â es wäre mir egal. Ich liebe dich, Alina. Ich liebe selbst jenen Teil von dir, der ihn geliebt hat.«
Ich wollte alles abstreiten und ungeschehen machen, aber ich konnte es nicht. Wieder wurde ich von Schluchzern geschüttelt. »Ich hasse mich dafür, jemals gedacht zu haben ⦠jemals geglaubt zu haben, dass ich â¦Â«
»Trägst du mir alle Fehler nach, die ich gemacht habe? Jedes Mädchen, das ich hatte? Jedes dumme Wort, das ich gesagt habe? Ich weià genau, wessen Liste länger wäre, wenn wir unsere Dummheiten gegeneinander aufrechnen würden.«
»Nein, ich trage dir nichts nach.« Ich brachte ein zaghaftes Lächeln zu Stande. »Jedenfalls fast nichts.«
Er grinste und mein Herz schlug wie üblich Purzelbäume. »Wir haben wieder zueinandergefunden, Alina. Und nur das zählt.«
Das Eisen lag kalt auf meinen Wangen, als wir uns durch das Gitter küssten.
Diese letzte Nacht verbrachten wir zusammen. Wir sprachen über das Waisenhaus, die zornige Reibeisenstimme von Ana Kuja, den Geschmack gestohlenen Kirschlikörs und den Duft des frisch gemähten Grases auf unserer Wiese. Wir erinnerten uns an die unerträgliche Sommerhitze und daran, wie wir in das Musikzimmer mit dem kühlen MarmorfuÃboden geflohen waren. Wir sprachen über den weiten Weg, den wir zurückgelegt hatten, um unseren Militärdienst anzutreten, und über den Klang der Suli-Geigen am ersten Abend, nachdem wir das einzige Zuhause verlassen hatten, an das wir uns erinnern konnten.
Ich erzählte ihm von dem Tag, als ich mit einer der Mägde in der Küche
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