Grischa: Goldene Flammen
Sie stand auf, und als ich sie zur Zeltklappe begleitete, sah ich wieder die schwarzen Augen des Hirsches vor mir, jene Augen, von denen ich jede Nacht träumte.
»Bitte richte David aus, dass ich ihm vergebe«, sagte ich. »Selbst wenn es kein groÃer Trost ist.« Und dir vergebe ich auch, fügte ich in Gedanken hinzu. Das war mein Ernst. Ich wusste, was es hieÃ, dazugehören zu wollen.
»Das werde ich tun«, sagte sie leise. Sie wandte sich ab und verschwand in den Abend, aber ich konnte noch sehen, dass sie Tränen in den Augen hatte.
Ich stocherte in meinem Abendessen und legte mich danach auf mein Feldbett, um über Genjas Worte nachzudenken. Sie hatte fast ihr ganzes Leben in der Abgeschiedenheit von Os Alta verbracht, hin- und hergerissen zwischen der Welt der Grischa und den Intrigen am Hof des Zaren. Der Dunkle hatte ihr aus Eigennutz diese Rolle zugeschrieben und nun hatte er sie davon erlöst. Sie würde sich nie wieder den Launen von Zar und Zarin beugen müssen, nie wieder die Farben der Diener tragen. Aber David empfand Reue. Und vielleicht war er nicht der Einzige. Vielleicht würden noch mehr Grischa ihr Tun bereuen, wenn der Dunkle die Macht der Schattenflur entfesselte.
Ich wurde durch Iwan aus meinen Gedanken gerissen, der plötzlich im Zelteingang stand.
»Aufstehen«, befahl er. »Er will dich sehen.«
Mein Magen verkrampfte sich nervös, aber ich stand auf und folgte ihm. Sobald wir das Zelt verlassen hatten, wurden wir von Wächtern in die Mitte genommen, die uns auf dem kurzen Weg zur Unterkunft des Dunklen begleiteten.
Beim Anblick Iwans traten die Opritschki vor dem Eingang beiseite. Iwan nickte in Richtung des Zelts.
»Nur zu«, sagte er grinsend. Ich hätte ihn am liebsten mitten ins Gesicht geschlagen, ging aber nur erhobenen Hauptes an ihm vorbei.
Hinter mir fiel die schwere Seide zu. Nach einigen Schritten blieb ich stehen, um mich zu sammeln. Das groÃe Zelt wurde von mattem Lampenschein erhellt. Auf dem FuÃboden lagen Teppiche und Felle und mitten im Raum stand eine groÃe Silberschale, in der ein Feuer brannte. Der Rauch zog durch eine Ãffnung hoch oben im Zelt ab, die einen Blick auf den Nachthimmel bot.
Der Dunkle saà auf einem schweren Stuhl, die langen Beine ausgestreckt, und starrte ins Feuer. Er hielt ein Glas in der Hand und auf dem Tisch neben ihm stand eine Flasche Kwass.
Er wies auf den Stuhl ihm gegenüber, ohne mich anzusehen. Ich ging zum Feuer, setzte mich aber nicht. Er warf mir einen ungeduldigen Blick zu, dann sah er wieder in die Flammen.
»Setz dich, Alina.«
Ich lieà mich ganz vorn auf der Stuhlkante nieder und betrachtete ihn wachsam.
»Sprich«, sagte er. Ich kam mir vor wie ein Hund.
»Ich habe nichts zu sagen.«
»Oh, ich glaube, du hast sehr viel zu sagen.«
»Wenn ich Euch bitte, von Euren Plänen abzulassen, werdet Ihr nicht auf mich hören. Wenn ich Euch sage, dass Ihr verrückt seid, werdet Ihr das nicht glauben. Warum sollte ich also reden?«
»Weil du vielleicht möchtest, dass der junge Mann am Leben bleibt.«
Mir blieb die Luft weg und ich unterdrückte ein Schluchzen. Maljen war am Leben. Ich bezweifelte, dass der Dunkle log. Er liebte die Macht, und durch Maljen konnte er Macht über mich ausüben.
»Was muss ich sagen, um ihn zu retten?«, flüsterte ich und beugte mich vor. »Nennt es mir.«
»Er ist ein Verräter und ein Fahnenflüchtiger.«
»Er ist der beste Fährtenleser, den Ihr jemals haben werdet.«
»Kann sein«, erwiderte der Dunkle schulterzuckend. Aber ich kannte ihn inzwischen besser und ich sah, wie Gier in seinen Augen aufflackerte, als er den Kopf zurücklegte, um das Glas Kwass zu leeren. Ich wusste, dass er ungern etwas zerstörte, das ihm von Nutzen war, und ich versuchte, diesen kleinen Trumpf auszuspielen.
»Ihr könntet ihn nach Norden in den ewigen Frost verbannen, bis Ihr ihn wieder braucht.«
»Du willst, dass er den Rest seines Lebens in einem Gefängnis oder Arbeitslager verbringt?«
Ich schluckte den Kloà im Hals hinunter. »Ja.«
»Du bildest dir ein, ihn irgendwie wiederfinden zu können, nicht wahr?«, fragte er amüsiert. »Du bildest dir ein, das irgendwie zu schaffen, solange er noch lebt.« Er schüttelte den Kopf und lachte auf. »Ich habe dir eine Macht geschenkt, die die kühnsten Träume übersteigt,
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