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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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der Schiffsstunden verkünden. Ach, nur der Haifisch versteht die Qualen eines seefesten hungrigen Magens an Bord zu würdigen. Die öde gähnende Wasserfläche scheint ein ähnliches Vacuum im menschlichen Innern zu erzeugen. Der Magen zeigt eine Geräumigkeit sondergleichen – wieviel Ballast man auch in seine elastische Ausdehnung stopfe, er scheint niemals zufrieden und für alles dankbar, Verdauliches und Unverdauliches, Gewohntes und Ungewohntes.
    Kathi entwickelte eine feurige Hinneigung zu Hummersalat, weil derselbe durch seinen hartnäckigen Widerstand gegen Verdauung doch wenigstens eine dauernde Füllung bewirkt. Gekochte Steine wären einem jugendlichen Magen »zur See« grade recht.
    Der Mond ging auf. Er hatte eine karmoisinrothe Färbung, welche sich allmählich ins Violette, dann ins Safrangelbe, dann ins Olivenfarbige verlor, bis er auf einmal in gespenstiger Helle weiß und voll auf seilten Wolkenthron emporstieg. Aber eitle breite Schattenwand thürmte sich langsam am Horizont entlang. In der Ferne huschte über die gekräuselten Wogen, dort wo sie genau unter der Leuchtwirkung des Gestirns zu ruhen schienen, ein spukhafter Glast dahin und zirkelte einen runden Strahlenkreis, der in rastloser Bewegung sich um sich selber drehte. Es war, als ob die Meerjungfrauen vor ihrem leuchtenden Herrscher mit silbernen Füßen in verwirrend hurtigem Neigen tanzten.
    Das Meer holte voll und tief Athem und sang in mächtigen Rhythmen.
    O allgewaltig harmonisches Brausen, o Wiederhall der ewigrollenden Sphären! Eine frische Brise fährt durch die Seele, und fegt allen Alltagsstaub von hinnen. Sanft schläft sich's in der engen Koje, wie ein Kind in der Wiege geschaukelt von der alten greisen Amme mit dem grauen Wellenhaar. Und sanft erwacht sich's, wie sie einlaufen in die Bai von Christiansand, die sie endlich empfängt nach so langer Irrfahrt. Das Wappen Norwegens weht in Lüften, sie betreten den Boden des alten Norge, der Vikingsheimath. Und dann steuern sie wieder drauf los, erst die Küste entlang, dann ins Skagerak hinein, wo meist kein Flecken Land zu entdecken und die Fluth tückischer stößt, als draußen in der offnen See.
    Die Schären reihten sich im Mittagsschein aneinander. Ihre glatten nackten Wände strahlten wie Brennspiegel und die weißen Schwingen der Möven, die dort nisteten oder auf den Kämmen der Brandung sich schaukelten, blitzen in stäubenden Funken. Kieferbewachsene Kuppen krönten die Ufer: sie stiegen terassenförmig auf und nieder, wie eine höhere Fortsetzung der auf- und abrollenden Meereswogen. Ueber dem Allen schwebte ein seliger Friede mit säuselndem rosigem Fittich dahin.
    Im Hafen lag Schiff an Schiff. Auch solche, die Havarie gelitten. Aus den alten runzeligen Häusern lugten hübsche Frauenköpfe. In grünangestrichenen Booten fuhren junge Mädchen, allein, kräftig mit den Rudern ausholend und ihre breiten gelben Strohhüte hebend und senkend. In der Ferne sah es aus, als schwämmen Butterblumen auf dem Wasser.
    Aber bald verloren sie die Küsten aus dem Auge und das breite Skagerak versetzt sie wieder ins alte Einerlei grenzenloser Einsamkeit zurück. Die Mannschaft kommt in Bewegung, der Kapitän schneidet ein finstres Gesicht und beantwortet Eugens Frage, ob er denn wirklich heraufziehe, mit einem kalten Blick seiner wasserblauen Fischaugen und einem süßlichen Zuspitzen seiner schwermüthigen Lippen: »Ja wohl!« Er – das soll nämlich heißen: der Nebel .
    Alles veränderte sich. Ein plötzlich auftauchender Dunst, der wie die weiße Kaputze eines Troll über das Skagerak hinflatterte, kroch bäuchlings über die Fluth und verwischte Nähe und Ferne. Das Schiff verlangsamte sein Tempo, wie ein Roß aus scharfem Galopp sich zum Trab mäßigt und endlich sogar in Schritt verfällt. Lange Minuten hindurch, wo der Nebel sie völlig rings umschlossen hielt, stoppte der Dampfer gänzlich und tastete sich Schritt vor Schritt, Kiellänge für Kiellänge, durch den Dunstkreis. Dazu das Schrillen der Kapitänspfeife, das Läuten der Nebelglocke, die Pfiffe der Dampfmaschine, alles um etwaige Schiffe aus ihrer Nähe fortzuwarnen. Doch die Gefahr, welche der Seemann ärger fürchtet als den Orkan, ging vorüber. Der Nebel fiel mehr und mehr, verzog sich und wich hinter ihnen zurück. So jäh und in so undringlicher Masse tritt er selten auf, außer in diesen norwegischen Gewässern.
    Schon legten sie in Arendal an, wo sommerliche Lust die hügeligen Gassen mit traulichem

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