Größenwahn
warf schon bei Kuxhaven Wellen. Das Wasser trug jene schmutziggelbe Färbung, die es nach aufwühlender Erregung wie eine Art maritimer Gelbsucht zu bewahren pflegt. Verdrießlich und mürrisch starrte die Nordsee die Reisenden an, als sie jenseits der rothen Flaggentonnen, einige Stunden hinter Helgoland, endlich das offene Meer erreichten. Die Feldstühle fielen um, die Maschine stampfte gefährlich, die salzig bittern Seufzer der Meersirenen dunsteten über Bord. Doch die Wasserhölle beruhigte sich zusehends, ein heitrer Abend brach herein.
Immer vorwärts in der blauen Einsamkeit. Auf Schaum gewiegt, von Träumen geschaukelt, spinnt die Seele sich ein, wo es märchenstill wird in dem Einerlei der Meeresruhe.
Selbst die alte Jungfer aus Stavanger zankt nicht mehr mit ihrem Freund, dem Herrn Kapitän, und dieser schweigt noch beredter wie gewöhnlich. Der Handelsagent aus Altona trinkt unmenschlich viel Toddy, nur seinem rührigen Mundwerk eine Ersatzbeschäftigung zu bieten, denn zu schwatzen wagt er nicht recht. So majestätisch dröhnt der hörbar lautlose Psalm, der feierlich zum Himmel emporsteigt. Ein einziges Gebet scheint rings der Hauch des Alles. Der Weltengeist schwebt über den Wassern. –
Die bewegte See erschien nach Nord, Süd und Ost in einförmige Bleifarbe getaucht. Im Westen aber glitt ein silberiger Lichtstreif über die öden Wasser hin und brandete mit der durchsägten Woge an den Schiffsbord, den er warm bemalte. Es war, als wolle er das einsame Schiff, dem auch nicht das kleinste Segel am unermeßlichen Horizonte grüßend winkte, gleichsam verbinden mit einer lichteren Welt – wo aus den smaragdgrünen und azurblauen Durchblicken des dunstfleckigen Aethers ein sanfter Strahlenregen herabrieselte.
Einen Teppich goldener Fäden breitete die westliche Sonne vor sich her, die in einem gelben Fluidum langsam verschwimmend wie ein güldnes Heiligenbild über dem Wasserspiegel hing – mit einem Nimbus umwoben von unerträglichem Glanz. Die Strahlen spielten in der flüssigen Tiefe wie Goldfischchen hin und her – bis auf einmal der Sonnenball zu einer rothen Scheibe einschrumpfte und endlich wie ein flimmernder Glühwurm erlosch.
Die erste Nacht auf See in beklemmender Wasser wüste ängstigt stets die ungewohnte Brust. Alles sonnige Grün des Lebens scheint zu versinken, alle Schatten verschollener Leiden quellen aus dem Hades empor und geben dem Kiel Geleit als nächtige Schatten. Man fühlt sich sturmverschlagen.
Der kraftstrotzende überfütterte Holsteiner, der aussah, als sei die Seele von tausend verspeisten Ochsen und Hämmeln in ihn gefahren, mochte gut versichern, daß er jährlich zehnmal hin und herfahre auf der berüchtigten Seeroute Hamburg-Christiania. Schon bei der Mittagstafel hatte er durch seinen urwüchsigen Appetit nicht mehr zur Nacheiferung anspornen dürfen. Jetzt lag er wie ein Erschlagener in seiner Koje. Auch der gelehrte Bremenser, der prahlte, daß er als echter Sohn des Meeres wider alle Neptunische Tücke gefeit sei, brachte schon lang dem Poseidon beträchtliche Opfergaben.
Es schaukelte etwas, die See ging hoch. Eugen aber, am Steuerbord auf ein Pack Taue hingelagert, plauderte gemüthlich mit seiner Cigarre von alten stürmischen Fahrten, wo der Wind rauher pfiff als heut und seine Seele hochging in dunkeln Wogen, die jetzt gleichgültig ermattet. Die scharfe Kühlung drang durch sein Plaid, durchsiebte seine Haare und wusch ihm die Augen klar. O welche Frische, welche stählende Reinheit! Wenn das taktmäßige Aufrauschen der zurückgeschleuderten Wogen, die der Kiel durchschneidet, durch die Nacht ertönt, dann brauste eine ungeahnte Kraft in seinem Innern empor. –
Kathis musterhafter Magen hatte die erste Anfänger-Beklommenheit, leichtes Unwohlsein mit Kopfschmerz, überwunden und marschirte stramm an Deck hin und her.
Ein Schiff stellt bekanntlich eine Welt im Kleinen dar, jede Schiffahrt scheint ein Abbild des Lebens. Die Freuden gering und zweifelhaft als da sind: gute Luft, Essen, Trinken und Nichtsthun – die Schmerzen dafür um so unzweifelhafter, und dem Rest der Glücklichen, die von der Seekrankheit verschont bleiben, wird als Ersatz eine unersättliche Langeweile zu Theil. Auch die Glocken erinnern an die Abschnitte des Erdenwallens, an Tauf-, Hochzeits- und Sterbeglocken – hier Frühstücks-, Mittags- und Vesperglocken genannt. Dazwischen noch »Schiff in Sicht«, allerlei Commandorufe und die eintönigen Schläge, welche die Zahl
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