Größenwahn
Familiarität unter den Arm nehmen. – Nun kommt das Entscheidende! Ihr »Gönner« hat tausend Feinde. Diese sagen sich, daß es das sicherste Mittel sei, ihn zu isoliren , wenn sie plötzlich seine früher überall todtgeschwiegenen oder gar beschimpften Schützlinge zu loben anfangen – auf seine Kosten natürlich. Und siehe, sie haben sich nicht getäuscht. Unter heuchlerischem Hin- und Herwenden, knüpfen die werthen Genossen und Freunde hinter dem Rücken ihres Häuptlings mit dessen Todfeinden intime Beziehungen an. Bald naht die Stunde, wo sie mit manchem Räuspern ihrer verlogenen und undankbaren Gemüther zu verstehen geben, die Genossenschaft ihres Ruhm-Erzeugers, ohne den doch ihre litterarische Existenz für die Welt todtgeboren geblieben wäre, compromittire sie. Was sie voll ihm und seiner Macht genießen konnten, haben sie genossen – jetzt können sie ja ihren Meister »dreimal verrathen« und mit fliegenden Fahnen zum Feinde übergehn, wo man sie mit heuchelnder Freundlichkeit empfängt.
Da erhebt sich denn plötzlich der beleidigte Löwe in seinem Grimm und ohrfeigt sie mit seiner Tatze, indem er ihnen überall den Flitter abreißt und ihre wahren Blößen zeigt. Darob großes Hallo! »Er ist kleinlich, neidisch, kann nicht vertragen, daß auch Andere gelobt werden; er ahnt eifersüchtig, daß sie ihm über den Kopf wachsen möchten!« Ihm freilich schreiben sie das nicht! Da lassen sie vielmehr die Züchtigung demüthig über sich ergehen, reden von ihrem »steten Dank trotzdem« oder gar von ihrer »trotzdem unabänderlichen Verehrung«, denn in dieser Maßregelung selbst haben sie gespürt, daß der Löwe doch noch lebt und daß er stärker ist, als alle seine Feinde miteinander. »Königsmacher Warwick« nennt man ihn im Scherz, der, wen er hebt, auch stürzen kann. Doch der Spitzname trifft nicht. Denn zu »Königen« kann er Niemanden machen, weil er selbst der König ist. Wohl aber kann er, statt des falschen Geistesadels, eine echte Aristokratie des Litteratur-Geistes gründen und darum hat er sie zu seinen Pairs ernannt. Ein König hat aber das Recht, seine Pairs ihrer Stellung zu entkleiden, wenn sie meutern – ihres wirklichen Adels nicht. Denn wer zum Ritter vom Geist geschlagen, bleibt ebensogut ein Ritter wie der König selbst, und den Adel selbst kann ihm Niemand rauben. Darum läßt man ihnen ihre goldenen Sporen, die ihnen stets gebühren, und sogar den verliehenen Herzogshut, aber nimmt ihnen die Talmi- Krone , die ihnen nicht zukommt. Gerechtes Wohlwollen und gerechter Zorn, in beiden dasselbe Gefühl der gütigen oder beleidigten Gerechtigkeit .
Um im Bilde zu bleiben: – Neben mir lebt noch ein andrer König, ein Nachbarkönig auf engerem und beschränktem Gebiet, dessen Königthum man nicht anerkennen will und der eigentlich ein König- ohne -Land, ein Herrscher ohne Vasallen, ist. Dessen Thron habe ich stets gestützt und werde ihn vertheidigen bis zum letzten Blutstropfen, ob er auch mich verrathen würde wie die Andern und mir nie ein Bundesgenosse – höchstens ins Gesicht mit lugenden Worten – war. Aber was schiert das mich! Zu ihm, dem Könige, halte ich, fest und ritterlich; ihn, meinen Feind oder falschen Freund, grüße ich stets mit dem ihm gebührenden Titel; denn er ist ein König.
Aber die Herzöge und Grafen und Barone des Litteraturreichs werde ich nie als gleichberechtigte »Herr Bruder« grüßen – und gestände ihnen alle Welt den Zaunkönigs-Titel zu. Das ist mein »Größenwahn«, mein königlicher Größenwahn, der da wurzelt in der Gerechtigkeit. Bernadotte, der in ein Paar Scharmützeln gesiegt, corrigirte seinen Meister, den Sieger in hundert Schlachten, wie einen Schulbuben – und die andern Marschälle fanden, Er werde alt und könne nicht mehr commandiren. Aber Napoleon blieb darum doch Napoleon.
So. Jetzt können Sie an der Hand dieses Briefes mich ins Irrenhaus stecken lassen. Wenn das nicht Größenwahn ist!
Ich danke Ihnen für Ihren freiwilligen Zuruf, Herr Graf, und werde ihn nie vergessen. Aber meinen Umgang suchen Sie nicht! Ich bin ein einsamer Mann und fliehe vor allem die Berührung mit dem Federvieh wie die Pest. Ich muß allein sein, denn ich weiß: Der Starke ist am mächtigsten allein. Leben Sie wohl! Ihr
Friedrich Leonhart .
Achtes Buch.
I.
Man kappte in der Frühe die Seile. Bald nachdem sie die Anker gelichtet, glitten St. Paulis Mastenwälder hinter ihnen weg und Leuchtthürme tauchten empor.
Die Elbe
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