Größenwahn
anderen Welten bedeute. Auf seinem Todtenbette hatte ihr vor einem Jahr verstorbener Gatte noch Zeit gefunden, sie zu erinnern: »Helen'ken, Du wirst mir doch meine Goldfische nicht verhungern lassen?«
Ein Schauder durchschüttelte sie, rieselte durch ihre vollblütigen Glieder. Sie riß die Augen weit auf, streckte sich gerade aus und starrte zur Decke empor. Ein Schatten, tiefster Verzweiflung huschte über ihre Züge hin. Dann raffte sie sich zusammen, ergriff die vor ihrem Bette auf einem Fellteppich liegenden Pantoffeln und schleuderte sie kräftig gegen die Thür. Das war das Zeichen für eine ihrer Mamsells, ihr den Café ans Bett zu bringen.
Bald darauf saß sie in ihrem eleganten Frisirmantel mit langen aufgelösten Haaren vor dem Spiegel, goß Eau de Cologne in ihre Locken, ehe sie dieselben mit dem Brenneisen zu kräuseln anfing, und parfümirte mit Eau de Mille Fleurs ihr Morgenkleid. Dann kam ihr der Gedanke, ein warmes Bad zu nehmen. Andere Gedanken, als die einer entsprechenden rationellen Körperpflege und Ernährung, kamen ihr ja überhaupt nie. Den Rest ihrer Zeit verwandte sie auf die Toilette ihrer schönen Seele, indem sie sämmtliche Romane einer umfangreichen Leihbibliothek verschlang.
Während sie noch in ihrem Badezimmer sich bewunderte und vorm Spiegel ihre Reize in allen möglichen Stellungen besichtigte, klopfte die eine Mamsell, die sogenannte Kneifer-Mary (Rother'schen Angedenkens), an die Thür und benachrichtigte sie: »Madame, Ihr Freund ist da!«
In der That saß Leonhart gähnend in einem Winkel und bepustete als ironischer Blasebalg die Bierheben mit schnoddrigen Redensarten. Auf den Wahnsinn des Kneipens »hinten« fiel er ohnehin als alter kundiger Thebaner nirgends herein; hier aber genoß er uralte Stammgastrechte und durfte sich mit einem bescheidenen Glase Bier begnügen. Unter den Kellnerinnen, so oft sie wechseln mochten, fand er stets alte Bekannte. Und so vertrauten sie ihm auch heute allerlei Klatsch. »Wahrhaftig,« dachte er, »früher stand die Kunst unter dem Sternzeichen der Madonna, heut unter dem der litterarischen Kellnerin.« Kneifer-Mary erzählte ihm eine gräßliche Geschichte, wie sie als Backfisch ihrem Vormund entlaufen sei, weil dieser sie habe nothzüchtigen wollen. »Züchtigen – was? Die Noth hast Du zugesetzt. Man verspricht sich so leicht!« gähnte er. Mit Hochgenuß hatte er oft bemerkt, wie sonst recht gewitzte Leute sich fast immer von den Rührgeschichten dieser Damen betölpeln ließen. Er kannte das Sprüchwort: »Sie lügt wie eine H ...« Doch mit seltsamer Inconsequenz glaubte er nichtsdestoweniger an die idealen Aspirationen seiner Freundin Frau Meyer.
Diese Juno erschien. Ihr semitischer Astarte-Typus wirkte stets blendend beim ersten Eindruck, zumal ihre weiße Gesichtsfarbe durch kohlschwarzes glänzendes Haar gehoben und ihre Ueppigkeit mit geschmeidiger Eleganz gepaart erschien. Die holde Wittwe stürzte freudig auf ihn zu und fiel ihm um den Hals.
»Ach da bist Du ja, mein Herzblatt! Seh ich heut gut aus? Uns kann Keiner!«
»An die Wimpern klimpern!« ergänzte Kneifer-Mary naseweis.
Sofort wurde der Engel zur Furie. »Sie haben hier gar nichts mitzureden!« schrie Frau Meyer heftig. »Hier rede nur Ich. Sie haben bloß zu schweigen, verstanden?«
»Ach, ich meinte man bloß!« Kneifer-Mary fing sofort langsam zu weinen an, worüber Leonhart in solche Rührung gerieth, daß er sich zu ihr setzte und sie liebkoste.
Die klassischen Juno-Züge Helenen's verzerrten sich bei diesem Anblick und sie ging wüthend in der Stube auf und ab. Dann commandirte sie mit rauher Stimme: »Marsch fort, Sie! Bringen Sie eine Flasche Lafitte nach hinten für meinen Freund! Und zünden Sie die Gasflammen an.«
»Ich habe noch gar nichts dergleichen befohlen, meine Gnädige,« brummte Leonhart verdrießlich.
Sie fiel jedoch gierig über ihn her: »Wie hübsch er heute ist! So wie ich, liebt Dich keine! Scheusal, wolltest Du mich eifersüchtig machen?«
Er sah sie lächelnd an.
Sie zwinkerte lüstern-verlegen mit den Augen. Das Böse in ihrem Sphinx-Gesicht war es, was auf ihn so bezaubernd wirkte. In den kleinen Schlänglein um ihren schöngeschwungenen Mund erkannte er kußgierig liebe Wahlverwandte.
»Zarewna!« lächelte er. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Katharina II.
»O mein Orloff!«
Sie hielten sich umschlungen in zärtlichem
tête-à-tête.
»Heut hab ich gebadet,« sagte sie kokett, indem sie ihren Hals
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