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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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hatte, besaß er die geniale Frechheit, hier Schmoller mit spärlichem Lob gegenüber Leonhart auszuspielen, den er einen Nachahmer Schmoller's nannte. Ueberhaupt sei Leonhart (»der junge Dichter«, wie er ihn krampfhaft ununterbrochen betitelte) nur ein Eklektiker von trostloser Unreife, welcher jedem Einfluß folge, den ihm ein Anderer zutrage. Eine gewisse dramatische Begabung wolle er ja nicht verkennen; doch sei das Ganze immer verfehlt und reich an Dilettantischem. Das Widersprechendste, das grade an der Mode sei, ahme er nach, weil ihm offenbar mehr an augenblicklichem als an nachhaltigem Erfolg gelegen sei.
    Krastinik staunte, als rede man chaldäisch. Die unmögliche Frechheit des obscuren Dichterlings, der aus solchen Winkeln seine vergifteten Pfeile schoß, verblüffte ihn gradezu. Der handgreifliche Blödsinn dieser kecken Behauptungen ließ doch wirklich bezweifeln, ob der Klugschwätzer jemals Leonharts Werke gelesen habe.
    Als Folie las Haubitz dann einen Akt seines Dramas »Ein Morast« vor, worin trotz seines feschen Geschimpfes auf Zola der Schmutz faustdick aufgetragen war. Die Hauptheldin, Timandra Harteran (ihre Zofe trug den in Berlin gewiß recht häufigen Namen: Medora) ließ den Leser im ganzen Stück über ihre Erwerbsverhältnisse im Unklaren. Nicht minder der genialische Held des morastigen Dramas, welcher immer von Austern und Champagner redete, obschon er eine edle Verachtung wider alle Brotarbeiten entwickelte. – So schwebte Rafael über den seichten Gewässern der Modelitteratur und seinem – Moraste herablassend als Jehova dahin, ein Wohlgefallen vor Gott und den Menschen.
    Die Versammlung wurde immer zahlreicher. Wer zählt die Völker, zählt die Lumpen! Einer erzählte, daß von seinem neuen Buch 365 Besprechungen erschienen seien, für jeden Tag im Jahre eine – worauf sich Sagusch erbot, fürs Schaltjahr noch eine extra zu liefern. Ein Andrer meldete Jedermann, man habe bei ihm eingebrochen. »Der Executor nämlich!« dachte Krastinik, dem schlimme Befürchtungen einer Collekte schwanten. Ein Dritter, der wie eine betrunkene Eule aussah, hatte dem Edelmann, welchen er auf dessen Redaction (Lokaltheil der »Privilegirten Fortsschrittszeitung«) heimgesucht, als parthischen Pfeil ein philosophisches Lehrgedicht in XII Cantos zurückgelassen. Einen Theil davon hatte er stehenden Fußes zwei Expedientinnen, die er in der Redactionsstube traf, meuchlings vorgelesen. Die armen Schlachtopfer konnten nachher nicht genug über solche Missethat klagen, was jedoch nicht die Versicherung hinderte: »Ja, Herr College, die Mädchen waren ganz entzückt. Sie sehen, selbst auf ungebildete Gemüther wirkt Ihre Dichtung.« Der Mann war tief gerührt und pries den Edelsinn dieses erlauchten Dichters, der mit Recht »Edelmann« heiße, im Gegensatz zu andern Redactionen. »Ach,« rief der Fremdling, »die Kassirer brennen blos mit der Kasse durch, die Redacteure mit der Moral!«
    »Und manchmal nicht blos mit der Moral!« bemerkte Krastinik trocken. »Nun, Herr Sagusch, Sie grüßten mich ja unvollkommen – wie geht's Ihnen?«
    »Danke,« erwiderte dieser Denker mürrisch, der die »blos« 20 Mark Pump, welche der gräfliche Anfänger bisher erst als Taxe zahlte, noch nicht verziehen hatte. »Man wird altersschwach vor Litteratur!«
    »Pfui, pfui!« ermahnte aber Edelmann würdig. »Beherzigen wir Schleiermacher's schönes Wort: ›Bewahren wir uns ewige Jugend!‹ Nicht wahr, Herr Graf, wir werden die Litteratur schon retten? Reichen Sie mir doch die Hand!«
    »Verrathen wir also mitsammen das Vaterland!« lächelte dieser.
    »Wie machen wir's aber?«
    »O vor allem zusammenhalten als natürliche Verbündete wider den gemeinsamen Feind!« Edelmann mogelte mit seinem Kneifer unterm Tisch und eine unheimliche Erregung zitterte in seiner Stimme. »Wir, dem Vertreter des Idealismus, haben vor allem den Erzderber niederzumachen: diesen Leonhart .« Allgemeine Zustimmung. Jaja, das sei ein schlauer Strategem rege Wirrwar wie Staubwolken und wühle die Wogen auf, – um urplötzlich dahinter selbst als Offenbarung emporzutauchen. Sei ein Diplomat der Grobheit.
    Krastinik schwieg. Ihm schien das Alles, als ob Flöhe einen Löwen stächen. Der Floh ist freilich mit der Löwentatze kaum zu erreichen, aber er juckt eben so lange, bis er sich vollgesogen hat, und dann kriecht er aus der Mähne wieder wo anders hin. Denn des Flohes Beruf ist zu jucken. Man zerdrücke ihn ja nicht: das stinkt zu sehr. –

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