Größenwahn
sofort vergessen. Ewig herrscht die fixe Idee, welche von einer Art Irrsinn des Egoismus zeugt: der Unglückliche, dem man Vermögen andichtet oder der es wirklich besitzt, sei verpflichtet , »Collegen« direkt aus seiner Tasche zu unterstützen.
Im Grunde befinden sich überhaupt nur Wenige in der Lage, Anderen pekuniär unter die Arme zu greifen. Diese aber werden meist durch Verpflichtungen aller Art vorweg mit Beschlag belegt. Nur ganz junge und unabhängige Leute können mit gutem Gewissen solchen Anforderungen genügen.
Wer aber die Früchte seines Fleißes, statt diese zur Weiterförderung seiner eigenen Laufbahn zu verwenden, dem Lüderlichen und Faulen in den Rachen wirft, scheint ein Sünder gegen sich selbst. Jeder gutmüthige Mensch sammelt eine zeitlang Erfahrungen dieser Art. Dann tritt der Rückschlag ein und jeder Pump-Brief wird als verschleierte Erpressung aufgefaßt.
Und im litterarischen Leben läuft die Sache auch immer darauf hinaus. Eine »Anleihe« bedeutet Anerbieten der Bestechung. Setzt sich doch das litterarische Leben hinter den Coulissen nur aus Bestechung und Händewaschung zusammen. Daher endeten auch die Pump-Circulare der Waffenbrüder Haubitz und Edelmann mit dem steten Postscriptum: Sie würden sich übrigens revanchiren, indem sie in den ihnen nahestehenden Blättern eine empfehlende Recension über den geehrten Herrn Collegen brächten. Um jedoch ganz gerecht zu bleiben, muß zugestanden werden, daß sie dies schöne Versprechen niemals hielten oder höchstens in Erwartung eines neuen Darlehns. Hierin zeigte sich eben wieder ihre vornehme Gesinnung, die unausrottbare. Tribut empfangen darf der Messias, aber andere loben – nun und nimmermehr. Das wäre doch eine gar zu schnöde Verletzung seiner Integrität.
Es giebt kaum etwas Trostloseres, als das Loos eines armen Aristokraten . Und nun gar, wenn man an seine Armuth nicht glaubt. Fortwährend spielt er eine falsche Rolle.
Auf der einen Seite verstärkt es das Ansehen und dadurch den Erfolg eines Menschen, wenn man ihn für vermögend hält. Auf der andern Seite setzt er sich der Gefahr aus, von Jedermann angepumpt zu werden. Entspricht er diesem Vertrauens-Wechsel auf sein angebliches Vermögen, so begeht er einen Leichtsinnstreich. Entspricht er ihm nicht, kommt er in den Ruf eines gemeinen Geizhalses.
Jetzt wurde es Krastinik innerlich klar, warum Leonhart jeden Versuch übergroßer Familiarität, wenn ihm z.B. der Graf vertraulich über seine Verhältnisse Aufklärungen gab, mit kühler Reservirtheit ablehnte. Wenn er sonst wohl einfach »Krastinik« gesagt, wendete er dann plötzlich die steife Redeformel »Herr Graf« an. Krastinik begriff diesen wahren Stolz, welcher stets die äußeren gesellschaftlichen Schranken berücksichtigte und den bekannten Anwandlungen von Liberalismus-Verbrüderung, die grade den hochmüthigsten Aristokraten oft belieben, nur ein ablehnendes Lächeln entgegenbrachte.
II.
Die Wirthin des »Café Liedrian« (unechter Wein und echte Mädchenbedienung) in der Dresdenerstraße, Helene Meyer, erwachte erst spät am Nachmittag. Sie hatte erst um 7 Uhr Morgens ihre Champagnergäste, einen ungeschlachten Fabrikbesitzer mit Millionärs-Allüren und einen freiherrlichen Rittmeister in Civil, gehörig ausgerupft und nach einem Gratis-Morgencafé entlassen. Nach so schwerer Arbeit verschlief sie denn auch den ganzen Tag.
In ihrem Zimmer sah es immer aus, als ob Geburtstag wäre. Auf einem Marmortisch zu Füßen des Bettes stand ein Aquarium mit Goldfischen, fünf an der Zahl. Auf einem anderen Tisch ein Schmuckkasten aus Crystall mit allen möglichen Schmucksachen. Und oben darauf ein fettes Marzipanschweinchen mit schnüffelnder Schnauze. Außerdem lagen da umher ein Carton, mit blauem Atlas gefüttert und mit Brokatstreifen bestickt, und ein Parfümeriekasten.
Schon lugte der nahende Abend scheu durch die Gardinen. Helene lag in jenem Dämmerzustand da, den das Halbwachen mit sich führt. Die Goldfische, überfüttert wie dies bei kinderlosen Familien der Fluch, aller Hausthiere zu bleiben pflegt, hatten zufällig am Morgen keine Atzung erhalten. Man hatte sie über dem vielen Trubel vergessen. Jetzt regten sie sich, schossen unruhig hin und her. In der lautlosen Stille hörte man deutlich ihr heißhungriges Schmatzen, so deutlich, daß Helene aus wirrem Halbschlummer emporzuckte. Als ob dies lüsterne Schmatzen, in dem zugleich eine Bitte und eine Mahnung lag, einen Geistergruß aus
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