Größenwahn
so weggehoben über all' das dumme Leben. Wie Du mir neulich erzählt hast, daß es so große Welten über uns giebt und die Erde bloß so klein und wir wie Ameisen – ich weiß gar nicht, wie mir dabei wurde!«
»Originelle Zarewna!«
»Dann bist Du mein Premierminister! Ach, Du bist doch ein abscheulicher Mensch. Niemand würde es für möglich halten – kenne Dich schon so viele Jahre und weiß noch immer nicht, wer Du bist. Da sind wohl ein paar mal Leute hier gewesen, ekelhafte Gesellen, die von Dir quatschten und sich nach Dir erkundigten – daß Du ›Friedrich‹ heißt, weiß ich schon –, aber im Namen-Sagen da waren sie Alle behutsam. Wie ist das nur möglich, daß die Leute dahinter kamen, daß Du hierhergehst, aber ich Dich nie ausfinden konnte? Du mußt schrecklich weit von der Dresdener Straße wohnen. Und im Schaufenster hab ich auch nie Dein Bild gefunden ... und ich weiß bestimmt, daß Du doch ein berühmter Mann sein mußt.«
»Gott Gerechter!« machte er spöttisch, indem er ihre semitische Lebhaftigkeit nachäffte. »Wie soll ich sein berühmt! Ich bin einer der obscursten Sterblichen, heiße weder Veilchenthal noch Aaron noch Lubliner. Und was ich geschrieben habe, das ist bloß ein.. Coursbuch.«
»Ach rede man nich! Bei andern Damen da wirst Du schon anders sein in der Gesellschaft. Dir stehn ja alle Wege offen.«
Er zuckte die Achseln.
»Tröste Dich, mein Kind, unsere Damen haben schönere Idole als mich – mit rothem Kragen und Epauletts. Uebrigens,« er nahm einen ärgerlichen Ton an, »laß diese Nachforscherei! Wenn ich mich Dir entdecken will, werde ich es schon selber thun. Und daß ich's nicht thue, zeigt doch daß ich's nicht will.«
»Ja, glatt wie 'n Aal!«
Sie gerieth plötzlich in ein mörderliche Rage, die sie sofort an ihren, Mamsells auszulassen wußte.
»Häßlich sind sie alle wie die Sünde, und dabei stecken sie Bilder 'raus. Hier bei meinem Freund besaufen sie sich und dann, wenn Gäste kommen, dann lesen sie Bücher. Solche Mamsells sind mir noch nicht vorgekommen.«
In diesem Augenblick aber kam die Mamsell Olga und meldete ihr was.
»Ach so! Entschuldige mich, mein Kind! Da sind Zwei, die sich für mich interessiren!«
»So und da läßt Du mich sitzen? – So lebe wohl, und wenn für immer!«
»Ach, Du kommst ja doch wieder! Und übrigens, wir haben an jedem Finger Einen!« Sie zählte viermal ihre fünf Finger ab.
»Was, so wenig?« – Sie lachte und entfernte sich, trällernd: »Anna, zu Dir ist mein liebster Gang.«
Olga, die in England Geborene mit dem merkwürdigen großgeformten Fuchsgesicht, die so oft mit Leonhart Sechsundsechzig gespielt, sein sogenanntes »langsames Ideal,« versicherte ihm jetzt, sie sei ihm eigentlich auch sehr gut. »Wir kennen uns ja schon so lange!«
Leonhart dachte innerlich, was die Welt wohl sagen möchte, wenn sie diese komischen Freundschaften des »großen Dichters« erführe.
»Edles Wesen!« sagte er gerührt. »Was macht denn Dein Verhältniß, dies gute Schaf? Glaubt er immer noch an Dich?«
»Ach, Sie haben ja nie geliebt. Wenn Sie wüßten wie das ist! Mein Schatz ahnt natürlich nicht, daß ich Andere eben nehmen muß, wie das Geschäft es fordert. ›Ja Mäuschen,‹ sagte er, ›ich weiß wohl, daß Dir welche mal einen Kuß nehmen . Aber Du selbst giebst doch Keinem einen?‹ ›Nie, auf Wort!‹ sage ich dann. Wenn ich ihm die Wahrheit sagte, wär's ja für immer aus. O, dies Geschäft ist einem zum Halse heraus!«
Grade wie die Salon-Kokette ihrer Mama wohl zu beichten pflegt: »Es ist doch jeden Abend ein anderer! Ach, wenn ich nur Einen hätte!«
Darin sind alle Weiber gleich, dachte Leonhart. – Er sah nach der Uhr und schauderte.
Es ist doch eigentlich ein wahrer Skandal. Hier sitzt man nun und sauft regelmäßig für zehn Mark Wein, den die Weiber austrinken! Zehnmal macht schon hundert Mark auf die Weise. Freilich, was ist billiger in diesem verwünschten Berlin! Ein Ekel ergriff ihn vor seinem hartnäckigen Versimpeln in dieser thörichten Anhänglichkeit an zeit- und geldverzehrende angebliche »Studien«-Manieren. Was ihn solche Lokale lehren konnten (tiefere Kenntniß des weiblichen Charakters in seiner entarteten Entfesselung), hatte er doch längst gelernt. Elende Schwäche der Gewohnheit. Aber an eben dieser Schwäche gehen tausende junger Existenzen in Berlin zu Grunde, Studenten, Maler, Musiker. – Selbst ein gewisser Ort war hier lebensgefährlich wegen seiner
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