Größenwahn
– aren Schönheit! Selbst auf dem Subskriptionsball sahen meine sündigen sterblichen Augen nicht solche göttlichen Weiber!«
Wolffert senior fühlte sich, wie es schien, peinlich berührt durch diesen ungezügelten Gefühlssturm; denn er fistelte pikirt: »Weiber?! Ich muß doch bitten, Damen.«
»Damen, Madame, Signora, Miß, Milady – was Sie wollen!« heulte Lutsch unbekümmert fort, indem er seinen Chapeauclaque schwenkte. »Für mich bleibt jede Göttin doch einfach ein göttliches Weib! Wir, die wir athmen und weben in der freien vornehmen Lebensanschauung der Kunst – wir jubeln und seufzen halt mit dem Altmeister: ›Das ewig Leibliche zieht uns hinan! Ach und das Unbeschreibliche hier ists gethan‹: Sehn Sie doch nur diese Toilette!« Dabei deutete er auf eine im Nebenzimmer vorüberrauschende Dame. »Muß mir doch gleich notiren.« Er zog sein vielbeliebtes Notizbüchlein, in Saffian gebunden, aus der Fracktasche, in welches er ab und zu eifrig zu kritzeln pflegte, und schrieb die druckreifen Worte:
»Das tiefviolette Kleid mit Devant aus heliotropfarbigem Atlas, augenscheinlich aus dem Magazin der berühmten Firma Gebrüder Witzleben hervorgegangen, wurde noch mehr gehoben durch ein Brillantfeuerwerk. Die ganze Erscheinung möchten wir mit dem einen treffenden Worte kennzeichnen: Brillant!«
»Ach und dort, ich bitte Sie!« Er schrieb wieder etwas Lebendiges aus dem Hintergrund ab:
»Auch unsre Primadonna Donna Lucrezia Calcante – sie, welche gleich Lucrezia Borgia ein süßes tödtliches Gift für liebeglühende Männerherzen besitzt – zierte das Fest des größten Waffenfabrikanten der Welt.«
»Nana, erlauben Sie!« fiel der Vorfechter der Freiheit verlegen ein. »Sie bringen mich um! ›Der Welt‹ – das ist doch zu kolossal!«
Doch der unerschütterliche Lutsch replicirte gewandt: »Ich bin für das Kolossale! Auch insofern – wer ist dort die kolossale Dame?«
»Das ist Frau Cohn, von Cohn und Compagnie.«
»Frau von Cohn und Compagnie,« notirte Jener eifrig und schmückte den trockenen Namen alsbald mit folgender Hyperbel, indem er halblaut heulend schrieb:
»Und wer, der die üppigschöne Frau C. in ihrer hellfarbig gemusterten Brokat-Robe bewundern durfte, konnte ahnen, daß vierzig herrliche Lenze über ihrem Scheitel dahingegangen?«
»Sie sind bescheiden,« lachte Eugen Wolffert, der unvermuthet hinter ihm stand.
»Sind wir immer. Na, sagen wir: ›neununddreißig Lenze‹.« Lutsch schien durch nichts aus der Fassung zu bringen. Seine unerschöpfliche Phantasie setzte schwungvoll fort:
»Als Ebenbild dieser hoheitsvollen Juno schmiegten sich an sie ihre rehäugigen Töchter –«
»Pardon« unterbrach er sich, » hat sie Töchter?«
»Ja doch, Sie schnurriger Interviewer Sie!« lachte Eugen. Aber schon nahm ein neuer Gegenstand die Sinne des leicht erregbaren Ludolf gefangen:
»Gott, was seh ich! Auch Fräulein Rasolinska, unsre göttliche Ballerina? – Eine Inspiration!« Und er schrieb:
»Als ein unter dem Giftbaum der Börse lagernder lieber Freund sie in ihren Diamanten erblickte, rief er begeistet: ›Ich gebe für Fräulein Rasolinska 200000 Mark.‹«
Seine Inspiration hatte ihn so überwältigt, daß er Wolffert senior unter den Arm nahm und mit ihm herumtänzelte, indem er heiser dazu trällerte:
»Du hast Diamanten und Perlen ...«
»Sst, will er wohl still sein!« Eugen hielt ihm lachend den Mund zu. »Sie compromittiren uns noch!«
Da sprach Lutsch die geflügelten Worte:
»Der Skandal – das ist der Ruhm! Lehren Sie mich unsre lieben göttlichen Weiber kennen! Wir verstehen das Frauenherz!« Dabei klopfte er sich auf den Bauch, mit der Befriedigung des guten Gewissens. »Aber ich beschwöre Sie, liebstes Commerzienräthchen,« heulte er plötzlich »sehen Sie doch nur Ihre Schwiegertochter, sehen Sie doch!«
»Ich sehe ja schon!« fistelte dieser halb geschmeichelt, halb ärgerlich.
Im Hintergrunde sah man Kathi, von einigen Herren umringt, die Honneurs machen.
»Halten Sie mich!« Lutsch kniff Eugen in den Arm. Ich gerathe in Extase! Eine Prinzessin, eine ladylike Grazie! Für mich eine Mädchenblüthe von intimstem Reiz!
»Intimstem? Oho!«
»Nein, mein guter Commerzienrath, das verstehen Sie wieder nicht. Wir Kunstbeflissenen reden eine besondere Geheimsprache. ›Intim‹ – das heißt bei uns: ›unsagbar‹, ›duftig‹ ›keusch‹!«
»Keusch – so!« lächelte Eugen.
»Das
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