Größenwahn
Ehre der Maitressenschaft angeboten hatte. Mit einem gewissen Hochgefühl strich er seinen wallenden schwarzen Bart, indem er Kathi aus der Ferne gierig mit seinen Blicken verschlang. Sonst war sein Verhältniß zur Kunst kein intimes zu nennen gewesen und beschränkte sich auf Unterstützung des Ballets. Nun fiel ihm die Binde von den Augen und er erkannte sich als »Idealist«. Bisher schlummerte dieser Trieb im Verborgenen. Aber seit der Prozeß Graef ihn über das wahre Wesen des »Ideals« aufgeklärt, schwang er sich durch fleißige Betrachtung und Behandlung zur Höhe der Kunst, zum Nackten , nunmehr mit vollem Bewußtsein empor. Jetzt brachte er seinen Idealen eine ihm neue künstlerische Begeisterung entgegen, welche auf dem vertieften Studium der sogenannten Natur beruht. Bisher handelte er eben mit dem Instinkt des Unbewußten, wenn er seine nicht ungewichtige Verehrung »diesen Damen« zu Füßen legte. Jetzt aber wußte er, daß ein geheimer künstlerischer Drang ihn zur Betrachtung des Akt-Stehens trieb. O hätte er doch, wie dieser Schwerenöther Eugen, das herrliche Naturmodell käuflich erworben! Er hatte es ja dazu. Denn die Kunst geht nach Brot und das Studium des Nackten ist theuer. Schade! Er hätte es sich gern was kosten lassen. Nochmals Schade! Mit dem erkorenen Spezial-Modell war es nun nichts mehr. Doch wer weiß! Es ist noch nicht aller Tage Abend. Frau Kathi Wolffert würde vielleicht nicht immer unnahbar bleiben. Jedenfalls halten wir fest am Idealismus und am großen Stil des Nackten.
Commerzienrath Wolffert, ein dürrer Mann mit einer ungeheuren Birnennase, Fistelstimme und katzenhaft schleichendem Tritt, huschte liebenswürdig durch die Reihen der Gäste. Krastinik hörte einige Umstehende nähere Familiendetails erörtern. Wolffert junior habe seine jugendlichen Thorheiten überwunden, die befürchten ließen, daß er sich dem Müßigang widmen werde. Mann befürchtete einst sogar, daß er als litterarischer Schöngeist sich dem Staate entziehen wolle. Jetzt aber, da er ein Mann war, that er ab, was kindisch war, und trat ins Geschäft des Vaters ein. Die Firma werde demnächst lauten: Wolffert und Sohn. Um diesen Preis verzeihe ihm die Gesellschaft den unglaublichen Mißgriff seiner Liebesheirath, obschon natürlich die Damen sich fürs erste noch reservirt fernhielten. Man sehe doch den sittlichenden Einfluß der Ehe. Uebrigens könne man von der Vergangenheit der jungen Frau, die als Buffetdame in einem Hamburger Café fungirt haben solle, sonst nichts Uebles reden. – Doch schien über Manches ein Dunkel zu herrschen. So fragte ein junger Sportsman plötzlich mit offenbarer Neugier den soeben sich nähernden Eugen, wohin er doch gleich seine Hochzeitsreise gemacht habe. Er, der Frager, habe davon gehört, es jedoch vergessen. Nach augenscheinlich verlegenem Zögern gab Jener kurz zur Antwort: »Nach Norwegen.« Krastinik horchte wieder hoch auf. Ein Zufall wollte, daß der neugierige Jüngling im vorigen Jahr mit Stangen die skandinavische Route gemacht hatte. »Wir kamen aber nur bis Hönevoß. Kennen Sie Hönevoß?«
»O und ob! Einer der schönsten Tage meines Lebens!« Eugens Auge blitzte auf. »Es war ein herrlicher Juniabend. Ich glaube, der 17. Juni.« Krastinik zuckte leicht zusammen. Wie, trug Rothers Brief aus Hönevoß nicht dasselbe Datum?
»Schneidiger
Smoking-room,
auf Ehre!« Ein Theil der Gäste drängte in ein kleines elegant ausgestattetes Rauchzimmer. Dondershausen wollte die Gelegenheit benutzen, um der Wirthe habhaft zu werden und den Grafen vorzustellen. Aber dieser bat ihn hastig noch zu warten und hielt sich beobachtend
retiré
im Hintergrund.
»Stilvoll, intim, anheimelnd!« rief Lutsch begeistert. Er beroch seine Cigarre: »Upmann Regalia?! Jeglichem Lobe zu groß! – Ach, Herr Wolffert, Ihre junge Frau – superb! Etwas blaß. Das giebt ihrem Teint einen intimen Timbre – gradezu stilvoll! Ach, was für ambrosische Weiber dies hochzeitliche Fest wiederum vereinte! Alle Schönheiten Berlins zogen ihr hochzeitlich Kleid an – manche möglichst wenig davon und das sind die einzig wahren!« Dabei hauchte er, mit halb zerkniffenen Augen, das kritische Urtheil: »Diese pastos aufgetragenen, lichtwarmen Rosatöne schmelzend ambrosischen Fleisches!«
»Oller Fleischbeschauer!« murmelte man in der Runde. Lutsch aber fuhr unverdrossen fort, indem er auf Commerzienrath Wolffert lossteuerte, der eben hereingeschlichen kam: »Ihr Ball ist von einer wunderba
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