Größenwahn
vorlag. Und nun den lebenden Zeugen des Gegentheils vor Augen – – wie sollte das enden? Entweder verbrachte sie ihr Leben in ewiger Angst, die auch sie zum Selbstmord treiben konnte – möglich ist ja alles. Oder sie verfuhr aggressiv und suchte ihn auf die eine oder andere Weise unschädlich zu machen – möglich ist ja alles. Die Rache und die Feindschaft eines gefährdeten Weibes findet ja tausend Mittel. Oder es passirte gar das Schlimmste: Sie liebte ihn immer noch und die alte Flamme loderte wieder auf,
on revient toujours á ses premiers amours,
besonders eine Frau – möglich ist ja alles. Wie aus diesem Labyrinth sich herauswinden! Da war guter Rath theuer. Vielleicht wußte Einer Rath: Leonhart. Morgen würden sie sich ja bestimmt sehn.
Aber der Morgen kam und unter dem Stoß conventioneller Gratulationsbriefe brachte die Post keine Zeile von der Hand des Nächstbetheiligten. Was in aller Welt bedeutete das! Krastinik überwand seine falsche Scham und tunkte eben die Feder ein, um den Freund per Rohrpostkarte zu sich zu bitten, als ihm der Polizeilieutnant des Reviers gemeldet wurde. Ueberrascht fragte er nach dessen Begehr. Der Beamte fragte verbindlich, aber ohne Umschweif zur Sache kommend, ob er nicht mit dem »Schriftsteller Leonhart« befreundet. »Intim.« Ja, so habe er gehört. Wann er ihn zuletzt gesehn habe?
»Vor drei Tagen.« Ob ihm nicht eine tiefe Verstimmung desselben aufgefallen sei? »Nur wie immer. Leonhart besitzt eine melancholisch-cholerische Gemüthsart.«
»Jaja, Gemüthsart! Gemüthskrankheit darf man da wohl sagen. Litt er nicht an irgend einem körperlichen Leiden?«
»Nicht daß ich wüßte!«
»Oder an Familienkummer?«
»Er hat keine Verwandten.«
»Oder an unglücklicher Liebe?«
»Keine Spur.«
»Oder an finanziellen Sorgen?«
»Noch weniger.«
»Also wohl an sogenanntem Weltschmerz?«
»Ja, wenn man will. Doch nicht in krankhaftem Grade, sondern mehr als tiefempfindender und denkender Kopf.«
»Aber ihn drückte doch wohl irgend ein besonderer Gram oder Aerger oder sonst 'was Guts?« Der Beamte fing offenbar an ärgerlich zu werden über die Fruchtlosigkeit dieses Verhörs.
»Nun – ja!« gestand Krastinik zögernd. »Zweifellos. Der Kummer über den Mangel an Anerkennung.«
»Aha, verkanntes Genie! Dacht' ich mir!«
»Doch nicht so verkannt wie Sie vielleicht meinen. Nur entspricht sein äußerer Erfolg in keiner Weise seinen Ansprüchen.«
»Aha, Größenwahn! «
»Auch nicht eigentlich Größenwahn,« parirte Jener mit leisem Lächeln. »Denn er ist ja völlig berechtigt zu verlangen.. kurz, der Aerger über die litterarischen Verhältnisse fraß an ihm.«
»Also Berufsstörung. Unannehmlichkeiten im Berufsleben!« notirte der Polizeilieutnant mit wichtiger Amtsmiene, als sei er nun mit dieser technischen Phrase dem betreffenden Untersuchungsparagraphen auf die Spur gekommen.
Krastinik konnte sich kaum enthalten, laut aufzulachen.
»Von Berufsleben kann eigentlich keine Rede sein. Das Schaffen eines Dichters ist ja kein Beruf. Doch haben sich schon öfters Dichter, um ähnlichen Kummers willen, eine Kugel vor den Kopf geschossen.«
»Da haben wir's! Selbstmord, Fall Heinrich von Kleist. Kennen wir. Dichter-Wahnsinn. Fall Albert Lindner, Selbstmord oder Irrenhaus. Ich sag's ja: Größenwahn und nichts Anders. – Verzeihen Herr Graf daß ich Sie so belästige. Ihre Informationen waren von entscheidendem Werth.«
»Ja, aber..« Krastinik kam erst jetzt zur Besinnung nach diesem jähen Sturzbad. »Darf ich fragen, warum ich Ihnen diese Frage beantworten, mußte?«
»Nochmals Verzeihung, Herr Graf. Sie wurden eben als der nächste Umgang des Herrn bezeichnet, schon als er vermißt wurde.«
»Vermißt?! Mein Gott, es ist ihm also ein Unglück.. reißen Sie mich aus dieser Beunruhigung!«
»Sehr gern oder, Pardon, leider! Fassen Sie sich Herr Graf. Sie standen dem Herrn nahe?«
»Sehr, sehr. So reden Sie!«
»Nun, Herr Graf lasen wohl gestern im Polizeibericht..«
»Ich lese nie die Reporternotizen der Blätter.«
»So? Nun, ein Unbekannter wurde von einem Eisenbahnzuge nahe am Halensee überfahren..«
»Gerechter Gott!«
»Er hatte sich selbst auf die Schienen geworfen Selbstmörderische Absicht unverkennbar. Später wurde gemeldet, daß ein gewisser Leonhart, Schriftsteller, seit zwei Tagen vermißt werde. Das Signalement und die Identität wurde festgestellt. – O Pardon, es scheint Herrn Grafen doch sehr nahe zu gehn? In der That,
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