Größenwahn
Sie werden ohnmächtig. Darf ich ein Glas Wasser –?«
Krastinik wehrte ab. Taumelnd war er aufs Sopha gesunken, dicke Schweißtropfen perlten von seiner Stirn. »Lassen Sie, ich bitte. Mir wird schon besser. Und kein Anzeichen, warum..?«
»Ach gütiger Himmel!« Der Beamte schüttelte den Kopf mit überlegenem Lächeln. »Ihre eigenen Mittheilungen, Herr Graf, bestätigten ja nur, was man sofort annahm. Unbefriedigte Ruhmsucht, completter Größenwahn ! Das ist ja eben unsre Zeitkrankheit. – Empfehle mich bestens und bitte nochmals, die Störung entschuldigen zu wollen. Gestatten Sie mir, mich sofort zurückzuziehn. Die Discretion gebietet mir, Sie Ihrem begreiflichen Schmerz zu überlassen. Sie scheinen immer noch recht angegriffen. Gehorsamer Diener! Bitte, sich nicht zu bemühen.. ich habe den Vorzug.«
Der Polizeilieutnant verschwand, indem er noch einmal beim Schließen der Thür aus tiefstem Herzen den Seufzer hervorholte: »Ach ja, der Größenwahn!«
... Krastinik lag lange wie gelähmt. Ein entsetzlicher Schreck war ihm in alle Glieder gefahren. Ihm war, als sei er selbst von den Schienen zermalmt. Eine todesstarre eisige Ruhe durchfröstelte ihn.
Er erhob sich langsam und schritt auf und ab. So mußte es enden, mit einem Theatercoup! So mußte es enden, dies überreiche dämonische Leben, das im Selbstgenuß eines titanischen Urwillens sich selbst verzehrt! O Welt, o Leben, o Schicksal! – –
Berg und Thal begegnen sich nicht, aber wohl die Menschen. In einem inneren Kreislauf, dessen Zusammenhang wir nicht erkennen, laufen die Dinge zusammen. Das Entfernteste verknüpft sich dem Nahen. Nur ward den Wenigsten im blöden blinden Taumel ihres Daseins der lichte Blick verliehen, auf dies Räthsel zu achten. Das Unvermeidliche schreitet mit geheimnisvollem Geisterschritt aus dem Gestern in das Morgen hinüber. Kein Unglück kommt allein, jeder Schicksalswendung verknüpft sich unmerklich eine neue.
Wer klingelt? Für Niemand zu Haus. Der Telegraphenbote? Ein Telegramm, aus London? – – Das Papier entfiel seiner Hand. Lady Dorrington zeigte ihm an, daß ihr Gatte im Sterben liege. Er lasse ihn grüßen und ihm danken für seine Freundschaft und sende ihm seinen Segenswunsch für fernere Erfolge auf jener Laufbahn, die er ihm prophezeit, denn die Phrenologie lügt ja nie .
Eine Weile stand Krastinik regungslos, vor diesem neuen Schlag wie zur Salzsäule erstarrt. So starb denn alles um ihn her. Auch er, sein heißgeliebter väterlicher Freund. Und er sollte ihn nie mehr wiedersehn? Nie mehr? Mächtig ergriff den Trauernden eine unbezwingliche Sehnsucht, die letzten Stunden des theuren Mannes zu theilen. Es stirbt sich nicht so leicht. Wenn er eilte, langte er wohl noch rechtzeitig an ...
Wieder überkam ihn jener Drang plötzlicher Entschlüsse, der so oft schon sein Leben bestimmt. Deterministische Vererbung. Sein Vater hatte einst durch solch plötzlichen Entschluß einer Kavallerieattake unter Radetzky zum Gewinn einer Schlacht beigetragen. Nur fort hier, fort aus dieser Wirrniß!
Seinen Koffer packen – zwei Briefe an »Kollegen« senden, welche es sicher binnen 24 Stunden statt jeder besonderen Mittheilung in Berlin herumbrachten: ein Todesfall rufe ihn auf einige Wochen nach London – war das Werk einer Stunde. – – –
Dreizehntes Buch.
I.
Und wieder schwamm er durchs Meer von London, von einem Lichtmeer umflossen. Krastinik schritt langsam an der Kaserne der Coldstream-Garde vorüber, wo am Gitter eine neugierige Volksmenge wie gewöhnlich dem abendlichen Zapfenstreich lauschte. Die Pfeifen und Clarinetten der paradirenden Rothröcke spielten den alten Jakobitenmarsch:
Charlie is my darling, my darling the young Cavalier.
Unwillkürlich fiel er in den Taktschritt ein. Eine stolze Freudigkeit strömte durch alle Pulse seines Wesens, ehe er sich dessen bewußt wurde. Und er dachte:
Das ist der Marsch des Jahrhunderts! Wir alle sind eingereiht und sollten mitmarschiren. O über die Thoren, die sich wollüstig im Lager der Liebe dehnen oder stillbeschaulich ihr Gärtchen begießen, statt mit klingendem Spiel ins Feld rücken!
Wie schien alles in ihm so von Grund aus umgewandelt! Glich er doch früher ganz jenen hochmüthigen Aristokraten von »historischem Adel«, die wie die Grandseigneurs des Ancien Regime Freiheit und Gleichheit unnützlich im Munde führen und doch jeden nicht »Geborenen« nimmermehr als vollbürtigen Gentleman anerkennen. Wenn er früher seine
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