Größenwahn
wundert Sie? Wenn Sie meine Kritiken genauer lesen, so werden Sie ›keusch‹ und ›vornehm‹ als meine Leib- und Magenwörter fast in jeder Zeile entdecken. Wenn ich so einen Mann sehe wie Sie, dann sage ich einfach: ›Ein vornehmer Charakter!‹ Nehmt alles nur in allem, er ist –«
»Ein reicher Mann« brummte Eugen beiseit.
»Und was edle Frauen betrifft.. sehn Sie z.B. dort dies entzückende Wesen!« Er notirte wieder mal:
»Rosaseide mit türkisblauen Schleifen nebst saphirblauem Fächer mit Straußenfedern, eine Perlenschnur um den Schwanenhals ...«
»Sehen Sie, da sage ich schlechtweg: Ein keusches Weib! – Ach, Herr Wolffert, und Ihre Gattin!« Sein Notizbuch zitterte ordentlich unter der Hast des Bleistifts:
»Eine Schlepprobe von weißem Sammt mit weißen Seerosen über einem Kleide von weißer Seide und Brüsseler Spitzen ...«
Kathi trat eben einen Augenblick aus dem Saal herein und Eugen verfehlte nicht, ihr Lutsch zu präsentiren:
»Dir haben wohl die Ohren geklungen! Du hättest Deinen geistreichen Anbeter hören sollen!«
»Geistreich, aber ach, alt.. alt!« heulte Lutsch mit schwermüthigem Augenverdrehen, indem er Kathis Hand unter vielen Verbeugungen zärtlich küßte. »Wir armen Alten! Dahin ist die Zeit, wo die Sonne holder Frauengunst..«
»Sie wollen wohl Complimente hören?« Kathi schlug ihn leicht mit dem Fächer. Aber ihr Auge sah leer und gelangweilt über ihn weg und in ihrem Ausdruck lag eine müde Abgespanntheit, mit einer gewissen nervösen Unruhe verbunden. Ihre Augen irrten umher. Es war, als ob sie etwas suche – aber etwas Fernes, Unsichtbares.
Schon eine Zeitlang wunderte sich Dondershausen über eine auffällige Unruhe Krastiniks, der bald vor, bald zurück trat mit einem spähenden Ausdruck, als ob er etwas erwarte. Jetzt aber, als der Oberst ihn am Rockzipfel ergriff, um ihn durch die Gäste zu den Wirthen heranzubugsiren, wehrte ihn der Graf mit raschem Winke ab. Hastig bat er im Flüsterton, ihn entschuldigen zu wollen; ihm sei nicht wohl und er müsse heimkehren. Als Jener erstaunt zum Abschied die Hand drückte, nahm ihm Krastinik noch sein Ehrenwort ab, nicht zu verrathen, daß er mitgekommen sei. Dondershausen werde ja begreifen, daß es peinlich sein müsse, wenn Wolfferts erführen, wie man hier bloß hineingerochen und dann mit französischem Abschied Reißaus genommen habe. – –
In heftigster Erregung, von widerstreitenden Empfindungen geplagt, durchwachte der Graf schlaflos die Nacht. Also hatte ihn sein Argwohn nicht getäuscht – sie, sie selber, seine einstmalige Liebste! So gleichgültig ihm die Erinnerung verblaßt schien, konnte er sich doch eines seltsamen wehmüthigen Schauers bei ihrem Anblick nicht erwehren.. Und dann andrerseits.. ihm wurde alles auf einen Schlag klar. Die Beiden in Norwegen, Rother auch.. Hönevoß.. am selben Tage.. Rothers Brief.. das Datum stimmte.. hier konnte ein Blinder den Zusammenhang erkennen. Rother's lustiger Brief beabsichtigte nur eine heroische Täuschung. Seine seltsame Todesart, die man ja ohnehin kaum als Zufall deuten konnte, offenbarte sich zweifellos als Selbstmord. Er hatte den Zustand wehrloser Liebesberaubung nicht ertragen, nicht dem Glück des Andern, das ihm gebührte, zuschauen wollen. Und wohl noch mehr. Wie Rother's sensitive zarte Natur es verlangte, mochte er nicht das Glück Kathi's vernichten. Wußte er doch, daß Krastinik in Berlin und, wenn er selbst dorthin zurückkehrte, ein Skandal unvermeidlich war. So starb er denn für seine Liebe, ein ideologischer Querkopf, und endete, wie sein seelischer Organismus es bedingte, unglücklich und edel bis zum letzten Athemzug.
Dem Grafen traten unwillkührlich Thränen in die Augen. Ein unbeschreibliches Mitleid ergriff ihn für dies Opfer erotischer Hingebung, ein Mitleid, das zugleich den gerechten Zorn hinwegschwemmte, der ihm gleichsam Blutrache gegen die Schuldige gebot. War sie denn eigentlich schuldig? Sollte er nun auch sie vernichten? War es nicht genug mit einem Opfer? Aber was thun! Mußte nicht irgend eine Katastrophe sich vorbereiten, wenn er nun wirklich in ihren Bannkreis trat? Und wie das vermeiden? War er nicht jetzt eine berühmte Persönlichkeit, dessen Bild in den Schaufenstern hing? Mußte sie nicht schon auf seinen Namen stoßen, wenn sie eine Zeitung aufschlug? Sie liebte doch wohl ihren Mann und der hatte sie doch nur heirathen können, weil sonst keinerlei Beweis gegen ihre Unbescholtenheit
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