Größenwahn
werden, berechtigt noch zu keinem Vorwurf gegen den Weltlauf. Ein Unglück und eine Schuld, für die man ihm nicht zürnen darf, – das war Leonhart's Lebensentwickelung. Aber eine Verschuldung bleibt es immer, wenn ein Genie nicht auf seine Mitwelt zu wirken vermag und utopisch an die Nachwelt appellirt. Eine Schwäche und ein Mangel liegt stets darin, wenn ein Mensch sich selbst die Lebensader unterbindet. So ging er denn logisch unter kraft der Verschuldung seiner Charakterschwäche.
Warum gerieth er über jede Gemeinheit und Lüge in Harnisch? warum faßte er, trotz seiner boshaften Menschenkenntniß nicht eben alles persönlich auf?
Mundus vult decipi.
Mit Wasser wird Alles gekocht und heut stellen die Leute ihren Kochtopf voll schmutzigem Wasser mit cynischem Applomb ganz öffentlich auf den Tisch.
Auch in der Weltgeschichte herrscht einzig die Lüge und die »immanente Gerechtigkeit der Dinge«, von welcher Gambetta schwärmte, wirkt nur in den unterirdischen Wellenbewegungen selbst mit, nicht auf der Oberfläche. Denn alle schlechten Leidenschaften müssen mit den guten zusammenwirken, um Großes und Heilsames zu vollbringen. Allein gelingt dies weder dem guten noch dem schlechten Prinzip.
Die Eroberung Indiens durch die Engländer begleiteten nothwendig unerhörte Greuel. Aber die Thatsache selbst förderte den Fortschritt der Menschheit und ihre Ausführung gereicht jenen energischen Schurken zum Lobe.
Warren Hastings, der Henker Indiens, durfte nicht verurtheilt werden, weil er sich einer so löblichen conservativen Gesinnung befliß. Scheert nur ja nicht den Kamm diesem reinen Opferlamm! Und so saß er denn bald ruhig und wohlgemuth auf seinem Landschloß, das ihm der schuldige Tribut seiner Hindostaner Sclaven zum Dank für seine unvergeßlichen Wohlthaten erbaut. Wenigstens blieb er beständig: auch jetzt noch folterte er eigenhändig, wie früher mit dem Bambus, nunmehr mit der Feder die Seinen. Denn er dichtete als behäbiger Dilettant eine Ode nach der andern: »An die Empfindsamkeit«, »An das Mitleid«, vor allem »An die Tugend«. Seine Hymnen an diese Gottheit waren gefürchtet bei all seinen Gästen, denen er dergleichen salbungsvoll versetzte. Ein herrliches Symbol. Seine Gräuel als Tugend-Dichterling beenden, ziemt dem wahren Lebenskenner, der sich auf der Höhe der Situation erhält. Alle Männer der That und alle Weltmächte, sei es nun das alte Rom oder später das päpstliche Rom, lügen und heucheln aus Prinzip.
Als Bonaparte den heiligen Wallfahrtsort Loretto in seinen Schutz nahm, nachdem er grade an den Papst ein demüthiges Schreiben gerichtet, reinigte er sofort das Marienbild von Perlen und Edelsteinen, unwürdig irdischem Tand. Wer beschreibt aber seinen erhabenen Unwillen, als diese schnöden und überflüssigen Zierrathe sich als Glas und böhmische Steine entpuppten! So waren die Priester in ihrem eiteln weltlichen Sinne ihm lange zuvorgekommen. Sein Schmerz war tief und aufrichtig. O diese Pfaffen, diese Banditen! – Nichts köstlicher, als wenn zwei Diebe einander selbst bestehlen, der Eine im Namen der Freiheit, der Andere im Namen der Gottheit. Und das Volk, das dumme Heiligenbild, läßt alles wehrlos über sich ergehn.
Selbst die Symbole wechseln wie die Ideenbegriffe. Das schöne Wort »Freiheit« kann als »Liberalismus« den krassen Materialismus vertreten und das Königthum umgekehrt als letzter Hort des Idealismus erscheinen. Nur ein Begriff wechselt nie, nur ein Symbol bleibt ewig veränderlich: das Vaterland .
Ein Mastbaum hob sich siegreich als Schlachtpanier über dem Streitwagen der Lombarden als Symbol des Vaterlandes. Und ein Mastbaum diente als Sinnbild der geschlachteten Freiheit, als auf Nelson's Admiralschiff die besten Männer Neapels wie gemeine Verbrecher am Galgen seiner Raae hingen. Aber dieserselbe rohe Henker, Sclave zweier Trybaden, dies rumbegossene Beafsteak, verwandelte sich bei der ersten Breitseiten-Lage von Trafalgar in einen würdevollen Heros. »England erwartet, daß männiglich seine Schuldigkeit thue.« Und er fiel im Sieg: »Ich habe meine Schuldigkeit gethan.« Vaterlandsgefühl hebt Tröpfe über sich selbst empor und steigert unter der Wucht der immanenten Idee die Kraft des Einzelmenschen.
Die natürlichen Bedingungen, die aus der inneren Organisation erwachsen, sind im Menschenleben so unveränderlich wie im Naturreich . Die Weltgeschichte folgt bestimmten Drehungsgesetzen, die man bisher nicht zu ergründen den
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