Größenwahn
ihre Mutter »das Portemonnaie« nennen. So handelt man wahrhaft standesgemäß, wie es sich für einen solchen Stand frecher Nichtsthuer im Größenwahn ihres Nichts am besten schickt.
Die Juden, dies älteste Junkerthum Europas als geschlossene Kaste, sind eigentlich ideologisch-revolutionär angelegt. Darum nennt Renan die hebräischen Propheten mit Recht als Stammväter des Socialismus und Nihilismus. Die Juden stehen den Griechen ebenbürtig zur Seite. Bald siegt der Rationalismus des Hellenenthums, bald der düstre Pessimismus des Judenthums, das sich theilweise in Christi Lehre fortsetzt, In den Juden, einem kräftigen, unterdrückten Volke, lebt ein heißer Sinn für soziale Gerechtigkeit. Sie schufen sich einen eifrigen strengen Gott.
Fiat justitia, pereat mundus!
Besser, die Welt geht zu Grunde, als das sie ohne Gerechtigkeit fortbesteht. Heut freilich hat der alles zersetzende Zeitgeist auch die Juden so depravirt, daß sie sogar den eigenthümlichen Größenwahn ihrer Race, immerhin ein Zeichen von Kraft, einbüßten. Sie schämen sich ihrer Väter und verachten den jüdischen Namen. Ihr finstrer Trotz ist gebrochen durch erschlaffenden Mammondienst, und gleichgültig platter Lebensgenuß blieb ihnen übrig als einziges Ziel.
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Aber grade, indem dieser wahre Aristokrat mit vornehmem Abscheu all solchen Schmutz erwog, gewann er dem Problem Leonhart, dem Untergang des letzten Idealisten und des letzten genialen Dämons in der nivellirenden Uniformzeit, eine neue Seite ab. Auf immer höhere überschauende Gesichtspunkte erhob ihn die neue Weltanschauung, welche seine naturwissenschaftlichen Studien in ihm reisen ließen.
Sind die Menschen an sich wirklich so schlecht, wie Leonhart's Verbitterung sie auffaßte? War der große Egoist Napoleon etwa gerecht, als er gestand: »Ich habe die Menschen stets verachtet und sie stets behandelt wie sie es verdienen«? Mit Nichten. Die Menschen sind im Ganzen weit besser als ihr Ruf, sind von Natur hülfsbereit und gutartig. Nur soll man nicht ihre Eitelkeit und Selbstsucht verletzen. Thut man dies aber, so sei man wenigstens consequent und wappne sich mit starrem brutalem Egoismus. Auch das muß man Leonhart als Schuld gegen sich selber anrechnen, daß er mit schwächlicher Gutmüthigkeit den Leuten die Wunden verband, die er gerechterweise schlug.
Welch ein unreifes Unterfangen, die Welt und die Menschen anzuklagen! Man bessere oder belehre sie, sei es indem man sie überzeugt, sei es indem man mit Gewaltmitteln sie bekehrt. Aber verlangen, daß Andere ihre berechtigte Selbstsucht auch nur einen Augenblick hintansetzen, um eine fremde Größe aus objectivem Wohlwollen zu fördern, ist lächerlich. Das ganze Naturleben erwächst aus dem Kampf Aller gegen Alle und jedes Wesen in seiner Art dient mit zu dem Gesammtgebäude.
Daß eine Geistespotenz wie Leonhart untergehen mußte, bedeutet freilich einen unersetzlichen Verlust für die Gesammtheit. Aber die Welt dafür verantwortlich zu machen wäre widersinnig.
Warum schlüpfte dieser Heros, ursprünglich zur That und nicht zum Gedanken veranlagt, in eine so gebrechliche physische Hülle? Warum versetzte ihn der Zufall in sonstige Umstände und Zeitverhältnisses die ihm jede Möglichkeit versperrten, seine Individualität frei zu entfalten? Warum sah er nicht klar vor Augen, daß all sein Ringen nach Entwickelung seiner wahren Bestimmung ja doch von vornherein aussichtslos und die Schlacht schon vor Beginn verloren war, und verzichtete darum nicht in stiller selbstüberwindender Ruhe? Warum haschte und jagte er nach Befriedigung seines Ehrgeizes, statt sich mannhaft zu resignieren?
Die Welt trug in keinem Falle die Schuld. Denn von ihr erwarten, daß sie in einem unscheinbaren Federfuchser den Helden und Herrscher erkenne oder mit ihrem halbblinden Maulwurfsblick das Genie begreife – das heißt alle innere Organisation des Weltgebäudes stören und verrücken. Und warum widmete er überhaupt seinen Geist dem Undankbarsten und Unzeitgemäßesten, dem Berufe, den in einer Zeit wilder realer Kämpfe kein Mensch begehrt und nöthig erachtet, dem Berufe des Dichters? Hätte er sich auf die Wissenschaft geworfen, so konnte er hier vielleicht eine Waffe finden, um auf die Zeit zu wirken.
Es war ein Schicksal, es mußte nun so sein. Aber das persönlich individuelle Unglück, zu spät oder zu früh geboren zu
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