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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Scharfblick besaß. Wenn Buckle den Verfall Spaniens lediglich aus seinem fanatischen Religionskultus herleitet und diesen wieder aus der Bodenbeschaffenheit, welche Spanien also für immer zur unculturellen Stagnation verdamme, so ist das eine oberflächliche Einseitigkeit, nämlich eine bloß geologische Betrachtung. Sobald aber die psychische Chemie angewandt wird, ergeben sich ganz andre Resultate im Lande der Calderon und Cortez. Dann erklären sich die Erbfehler als Erbtugenden und umgekehrt. Der starre Jehovacultus dieses auserwählten Volkes, worin schon arabische Mischung erkennbar wird, befähigte es zur Welteroberung. Weil aber die geologische Lage Spaniens widerspracht so verwirrte sich die chemische Zusammensetzung und Spanien konnte seine unnatürliche Weltmacht nicht behaupten.
    Man wähnt die französische Politik irgendwie durch äußere Einflüsse und Zeitverhältnisse umwandeln zu können. Und doch lehrt die Geschichte, daß die Grundlagen der französischen Politik stets die gleichen blieben.
    Wie Chlodwig die französische Monarchie auf den Stützpfeiler des katholischen Klerus gegründet, so später der »allerchristlichste« Louis Quatorze. Wie die Könige des Mittelalters die Centralisation der Staatsgewalt angestrebt, so kämpften Richelieu-Mazarin den Geist der Fronde nieder. Wie jene lüstern nach Lothringens und Flanderns Besitz geangelt, so »reunirre« man später wirklich diese Länder und grade die Revolution vollendete dies Werk gallischer Völkerbeglückung. Der »Freiheitsbaum«, den diese Republikaner aufpflanzten, wurde ein Upasbaum der Tyrannei, die Prokonsuln und Volkstribune glichen auf ein Haar den späteren Marschällen und Intendanten, Pichegru plünderte Holland, so daß dem Napoleonischen Satrapen Oudinot später kaum etwas übrig blieb. Gaston de Foix, Guébriant, Turenne, Mélac, Louvois lebten weiter unter der Revolution und dem Kaiserreich und wirtschafteten später in Spanien, wo sie sich austoben durften, im Stil des dreißigjährigen Krieges. Das Rheinbundsystem fand schon sein Vorbild in den sogenannten Schwesterrepubliken, welche die erobernde Revolution gründete. Ja, der demokratische Cäsarismus Napoleons I. wie Napoleons III. griff ebenfalls auf Chlodwig zurück und verbündete sich mit Rom. Und die neufranzösische Republik sollte anders handeln? Ihr blieb in ihrer Partei-Zerklüftung das alte Ziel: Centralisation, Anschluß an Rom und Lothringen vom Rhein bis zur Schelde.
    – – Sobald man aber die Abhängigkeit aller Volksgenossenschaften von unverrückbaren Gesetzen der politischen Chemie und Geologie (zwei noch unentdeckten Wissenschaften) erkannt, widerlegen sich auch die Vorwürfe, mit welchen die Nationen sich gegenseitig die Wahrung berechtigter Interessen bestreiten. Im Leben der Völker spielt der Neid dieselbe wichtige Rolle, wie im Leben der Einzelnen, und begünstigt das Vorwärtsdrängen. Das chauvinistische Anfeinden alles Fremden beruht im Grunde auf einem tiefen gesunden Gesetz. Denn der Neid, dieser blasse scheue Schleicher, tritt manchmal auch als stattlicher mannhafter Widersacher in die Fehde ein.
    Der Neid ist eine Leidenschaft, die man nicht einmal sich selbst einzugestehen wagt. Der richtige Herostrat in seinem wüthenden Ingrimm gegen überlegenes Verdienst spiegelt sich selber vor, daß seine Wahrheitsentstellungen die Wahrheit enthielten. Nun giebt es aber auch Gefühle, die man zwanglos auf den Begriff des Neides zurückführen kann und die dennoch den Charakter des Neides verlieren. So z.B. wenn ein »Heros« in Carlyles Sinne an leitender Stelle, die ihm gebührte werthlose oder doch untergeordnete Leute sieht. Oder wenn ein großer Künstler es mit ansehn, muß, wie Unwerth durch selbstsüchtige Interessenpolitik oder Unverstand zu einem Scheinwerth aufgeblasen wird, während Werke mit einem Ewigkeitsgepräge von seichter Oberflächlichkeit lächerlich gemacht und mißdeutet werden. Der erfolglose Werth fühlt Zweifellos Neid gegen den erfolgreichen Unwerth, aber ist dieser Neid eine unedle Leidenschaft? Entspringt er nicht vielmehr dem Gerechtigkeitsgefühl und zugleich dem unpersönlichen idealen Zorn über die Schädigung des allgemeinen idealen Interesses durch die falsche Werthung des Verdienstes?
    So wird man, abstrakt betrachtet, den Chauvinismus aus einem Neid und Hochmuth ableiten können, den man trotzdem ehrenhaft nennen muß.
    Wozu in allen Tugenden verkappte Laster suchen, wie der edle Sieur de Larochefoucauld,

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