Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grolar (German Edition)

Grolar (German Edition)

Titel: Grolar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
Vom Netzwerk:
Das Dröhnen des Dieselgenerators drang aus dem Container. Andere Tiere würde es verscheuchen, dachte Jon.
    Cliff lag nun halb über ihr, halb über ihm. Jon wollte ihn immer nur beschützen, ihn und Tara, vor Armut, Pech und jetzt dem Bären, und nichts gelang ihm.
    Der Grolar untersuchte die Siebtrommel. Wie sich kreuzende Schwerter im Kampf klangen seine Klauen auf dem Stahl, und zwei sichelförmige Krallen bohrten sich fingerlang durch die Löcher in die Trommel. Quietschend begann sie sich zu drehen, und weil sie die Bewegung nicht ausgleichen konnten, purzelten Tara, Cliff und Jon unkontrolliert übereinander.
    Er spürte, wie er auf seinem Sohn landete, ihm weh tat, das Letzte, was er wollte. Sie schrien auf, sie schrien so lange, bis die Bewegungen der Trommel stoppten. Flehend schauten sie einander an, gekrümmt vor Schmerzen, blutend aus zahlreichen Wunden an Knien, Ellbogen, Händen, Lippen, Nase und Stirn.
    Die Pause war viel zu kurz, denn der Bär begann die Trommel abermals zu drehen, und Jon wurde klar, dass sie irgendwann so verletzt sein könnten, dass sie ihr Bewusstsein verlieren und langsam aus dem unteren Ende der Trommel herausrutschen würden. Das wäre ihr Ende, ihr aller Ende, Taras und Cliffs.
    Jons kleiner Finger brach, als er in einem der Löcher stecken blieb, um sich abzustützen.
    Der Grolar bediente die Trommel wie ein Spielzeug, aber Jon war sich sicher, dass er das aus einem anderen Grund tat. Das Tier handelte aus Absicht.
    Speichel, Blut und Wasser triefte vom Bär durch die Löcher auf Cliff, Tara und ihn. Er spie ihnen seinen urzeitlichen Zorn entgegen.
    Cliffs Schreie wurden leiser und gingen über in ein schwaches Wimmern, er konnte bald nicht mehr. Er würde der Erste sein, der ohnmächtig werden würde. Wie lange würde er selbst durchhalten?
    Nicht mehr lange, dachte er. Und dann kam ihm ein Gedanke. Und dann kamen ihm die Tränen. Und sofort unterdrückte er sie, denn er benötigte seine volle Konzentration.
    Jon rutschte zum unteren Ende der Trommel, bis er seinen Fuß herausstrecken und dem Bären damit zuwinken konnte, »Hey! Hey!«
    Wütend ließ der Bär von der Trommel ab und sprang zum unteren Ende, wo er nach dem Fuß schnappte. Jon zog ihn schnell wieder ein und krabbelte auf allen vieren zu seinen Lieben.
    »Jon, was tust du?«, fragte Tara.
    Hinter ihm geiferte der Bär, klackten die Kiefer aufeinander.
    »Ich werde dich immer lieb haben«, sagte er zu Cliff, der schon zu schwach war, um ihn anzuschauen. Durch die Schlitze seiner Augenlider sah er nur dessen Weiß. Sein ganzes Gesicht und der Kopf waren übersät mit Abschürfungen und Schnitten, sein rechtes Auge zugeschwollen. Er küsste ihn auf die blutige Stirn und zeigte ihm den Daumen hoch, obwohl er ihn nicht sehen konnte.
    Er hätte ihn gestern im Radlader mitnehmen sollen, ihre gemeinsame Fahrt, er bereute es, die Chance nicht genutzt zu haben. Bitterlich.
    »Was?«, fragte Tara, und er küsste auch sie ansatzlos auf die Stirn.
    Er schluckte Blut und vermied ihre Augen, die ihm nachblickten, als er weiterkroch, wortlos, weil sein Hals wie zugeschnürt war, raus aus dem oberen Ende der Siebtrommel.
    Er hörte seinen Namen aus ihrem Mund, und dann spurtete er los, über die Reste des vom Grolar plattgewalzten Zauns, den er hinter sich brüllen und laufen hörte.
    Jon rannte, ohne sich noch einmal umzuschauen, nur die offene Tür des Generators im Auge.
    Er hörte, wie das Untier näher kam. Näher und näher, sein Schnauben und Brüllen, das Stampfen und das scharfe Stechen in seiner Schulter, als die Klauen ein Stück Fleisch herausrissen, ihn straucheln ließen, so kurz vor seinem Ziel, worauf er sich mit letzter Kraft abstieß, sprang und erst im Container mit dem Generator aufkam, über den Boden schlidderte, rollte, nass, wie er war, bis zum Hauptstromkabel, das unter dem Verteiler in der Wand steckte.
    Er hörte die Tatzen mit ihren Krallen auf dem feuchten Boden hinter sich, wie er es gehofft hatte, und er riss das Kabel aus der Verankerung und presste es neben sich auf den nassen Stahl, während das aufgerissene Maul des Grolars über ihm zu schweben schien, als Standbild, bevor sich alles in einem gleißend hellen Licht auflöste.
     
     
Tara hatte sich gar nicht schnell genug umdrehen können, so schnell waren Jon und der Bär aus ihrem Sichtfeld

Weitere Kostenlose Bücher