Gromek - Die Moral des Toetens
Wiederhören.«
Gromek ließ das Band weiterlaufen:
»Kilar? - ... - Guten Tag! Schön, Sie zu hören! Wir sind sehr zufrieden.
Ihr Einsatz ...«
Erst an dieser Stelle schaltete er das Gerät aus und steckte es
wieder weg. Er sah zu Lisa. Diese machte einen verwirrten Eindruck. Sie schien
nicht mehr zu wissen, wem sie trauen und was sie glauben sollte. Gromek
musterte sie eingehend, bevor er seine nächste Frage an sie richtete.
Auch er war sich nicht sicher, ob er ihr trauen konnte.
»Sagen Ihnen folgende Namen etwas: Wolfgang Bubeck, Alexander Holtz,
Bedri Rugova?«
Ohne erst nachdenken zu müssen, antwortete Lisa bestimmt: »Nein.
Diese Namen sind mir gänzlich unbekannt.«
Michael Gromek stand auf und begann, in dem Krankenzimmer
umherzuwandern. Er blieb stehen, ließ die Fäden der Jalousie durch seine Finger
gleiten und warf einen Blick nach draußen.
»Sie haben den Auftrag, mich zu liquidieren.«
Er sprach langsam, so als würde er gleichzeitig angestrengt über
etwas anderes nachdenken.
»Und ich habe den Auftrag, Sie zu liquidieren. Außerdem«, fuhr
Gromek fort, »habe ich noch drei weitere ›Interessenten‹ auf meiner Liste, von
denen der erste sein Rendezvous bereits gehabt hat. Wenn ich mit meiner
Vermutung richtig liege, dann sind wir alle Angehörige derselben ›Firma‹.
Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, das sei - ungewöhnlich?«
Lisa schaute Gromek unentschlossen an. Gromek schaute zurück. Es
schien, als suchte jeder von beiden in den Augen des anderen nach Antworten,
die er sich selbst nicht geben konnte. Doch alles, was sie dort fanden, war ein
Spiegelbild ihrer eigenen Fragen und Zweifel.
Lisa war sich nicht sicher, wie sie Gromeks Aussage bewerten
sollte. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte er sie nicht erst seit diesem
Morgen beschattet, was ihr nicht hätte entgehen dürfen. Dann die Bandaufnahme
und die Tatsache, dass er sowohl Sektion-4 als auch ihren Auftrag
kannte - das alles klang überzeugend und war von Außenstehenden nicht zu
erlangen. Dennoch: Konnte sie es riskieren, Gromek zu trauen? Ihr Leben, und
vielleicht auch das ihrer Kinder, hing von dieser Frage ab.
»Wie kommt es«, fragte Lisa mit nicht kaschiertem Misstrauen in
der Stimme, »dass Sie so gut informiert sind? Sie scheinen über streng geheimes
Wissen die Nationale Sicherheit betreffend zu verfügen, das, großzügig
gerechnet, lediglich einem Dutzend Personen bekannt sein dürfte. Höchstens!«
Wieder studierte Gromeks Blick sie aufmerksam, wendete sich dann
aber ab. Er setzte sich wieder auf den Stuhl und nahm dieselbe Position ein wie
vorher.
»Wären Sie lange genug dabei, dann wüssten Sie, dass ich früher
einmal an dem Schreibtisch gesessen habe, an dem heute Viktor Kilar sitzt.«
Lisa war überrascht, konnte aber die Echtheit dieser Aussage
ebenso wenig überprüfen wie wahrscheinlich alle anderen Informationen, die
Gromek ihr noch geben würde.
»Sie waren Abteilungsdirektor von Sektion-4 ...?«
»Sollten Sie Ambitionen auf diesen Posten haben, schlagen Sie sich
das besser gleich wieder aus dem Kopf. Sie hängen entweder den ganzen Tag am
Telefon oder sitzen in irgendwelchen abhörsicheren Konferenzräumen. Für so
etwas wie ein Privatleben bleibt da keine Zeit.«
Aufmerksam beobachtete Lisa jede Bewegung, registrierte den
sarkastischen Tonfall seiner Worte und fragte sich, was Gromek plötzlich so
verärgert haben mochte. Gleichzeitig spürte sie, dass das Gespräch sich dem
kritischen Punkt näherte. Entweder Gromek und sie kamen zusammen, oder ...
»Und jetzt sind Sie Freiberufler?«
»So ist es. Vor Ihnen steht eine Firma. Ich bin mein eigener Generaldirektor.
Und jetzt hören Sie gut zu, Lisa-Marie Delius.«
Gromeks Geduld schien langsam am Ende zu sein. Er sprach
schneller als vorher, sein Ton wurde eindringlicher. Er wollte um jeden Preis
erreichen, dass diese Frau ihm vertraute.
»Wenn Sie am Leben bleiben wollen, müssen Sie das Gegenteil von
dem tun, was man Ihnen beigebracht hat - Sie müssen mir vertrauen! Ich weiß, dass
das viel verlangt ist und in unserem Beruf praktisch unmöglich. Aber
wahrscheinlich ist es Ihre - und auch meine - einzige Chance!«
Nun war es Lisa, die einen ausdruckslosen Blick durch das Fenster
des Krankenzimmers in die Ferne richtete. Nach langem Zögern hörte sie sich
fragen: »Und? Was schlagen Sie vor?«
Obwohl jetzt keine Zeit dafür war und Lisa-Marie Delius alles
andere als in Form, hatte Gromek plötzlich nicht nur das Gefühl,
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