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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lutz
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stand Oberarzt Dr. Helmut Weyhrauch und
unterhielt sich höflich mit einem Besucher.
    Zunächst konnte Lisa ihn nur von hinten sehen. Er war groß und
dunkelhaarig. Das Gespräch mit dem Arzt war so gut wie beendet. Ihr Mann war
das jedenfalls nicht. Dafür erinnerte er sie an einen anderen ... Zu ihrem
Entsetzen erkannte sie - Gromek.
    »Schwester!« presste Lisa hervor und richtete sich ruckartig auf.
Der Infrarot-Abnehmer, der aussah wie ein Fingerhut und die Sauerstoffsättigung
des Blutes überwachte, rutschte von ihrem rechten Zeigefinger. Der
Überwachungsmonitor reagierte sofort: Eine grüne Diode begann hektisch zu
blinken, begleitet von einem akustischen Signal, das monoton im
Dreisekundentakt erklang. Gleichzeitig druckte das Gerät einen EKG-Überwachungsstreifen
aus, der so lang war wie der Kassenbon eines Wochenendeinkaufs im Supermarkt
und sämtliche Daten enthielt, die Schwester Karin vor wenigen Minuten erst in
Lisas Krankenakte eingetragen hatte. Schlaff herabhängend harrte das frisch
ausgedruckte Thermopapier darauf, abgerissen zu werden. Schon ertönte ein
weiteres Signal. Dieses klang heller und piepste in kürzeren Abständen als das
erste. Es stand für Lisas Herzfrequenz, die innerhalb weniger Augenblicke auf
über 120 angestiegen war.
    »Ja?« fragte die Schwester, irritiert von dem plötzlichen Alarm
des Geräts, und wandte sich ihrer Patientin zu.
    »Ich brauche meine Handtasche!« Lisa versuchte krampfhaft, nicht
hysterisch zu klingen, während sie leise und drängend wiederholte: »Ich brauche
meine Handtasche. Jetzt sofort! Bitte, beeilen Sie sich!«
    Oberarzt Dr. Weyhrauch und Gromek betraten den nach Desinfektionsmitteln
und frisch gestärkter Bettwäsche riechenden Raum. Schwester Karin hielt ihrer
Patientin die Handtasche hin. Zu ihrer Verwunderung und der des Arztes riss
Lisa hastig den Verschluss auf und versenkte ihre zitternde Hand in deren
geräumigem Hauptfach. Doch ihre Finger landeten in einem Durcheinander von
Lippenstiften, Taschentüchern, Creme- und Puderdöschen, wie es sich in jeder
beliebigen anderen Damenhandtasche hätte befinden können. Ungläubig starrte
Lisa in die Tasche, dann blickte sie verzweifelt auf. Ihre SIG-Sauer war
verschwunden!
    Lächelnd kam Gromek auf sie zu. Er umrundete ihr Bett, ergriff mit
beiden Händen das seitliche Gitter und stützte sich darauf ab. Lisa starrte ihn
mit weit aufgerissenen Augen an, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen.
    »Den Kindern geht es gut«, hörte sie ihn mit leiser Stimme sagen.
»Sie sind nicht in Gefahr.«
    Michael Gromek, den rücksichtsvollen Ehemann mimend, beugte sich
zu ihr hinunter und sah sie mit seinen blau-grauen Augen direkt an. Sein
markantes Gesicht kam dem ihren langsam näher, während er sie besorgt zu
mustern schien.
    Lisas Herz raste. Ihre Hände waren schweißnass in die Bettdecke verkrampft.
In dem Versuch, der Bedrohung so weit wie möglich auszuweichen, drückte sich
ihr Körper noch tiefer in die Matratze.
    Gromek küsste sie schließlich auf die rechte Wange. Äußerlich
blieb Lisa starr und ohne jede Regung liegen.
    Dr. Weyhrauch und Schwester Karin wechselten einen Blick.
Dann räusperte sich der Oberarzt dezent: »Wie ich sehe, geht es Ihnen schon
besser?« fragte er breit lächelnd und machte gleichzeitig einen Schritt auf
Lisa und Gromek zu. Er verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und begann,
mit den Füßen auf und ab zu wippen - eine Angewohnheit, die sämtlichen
Schwestern der Station auf die Nerven ging.
    »Wie ich bereits ihrem Mann erklärt habe«, dozierte der Oberarzt
nun, »wurden Sie heute mit Commotio Cerebri, einer leichten Gehirnerschütterung,
eingeliefert. Sie haben sicher schon bemerkt, dass Sie eine kleine Platzwunde
am Kopf haben, die genäht werden musste. Zur Überwachung müssen Sie für
vierundzwanzig Stunden am Monitor bleiben, damit wir selten, aber eventuell
doch auftretende Komplikationen rechtzeitig erkennen können. Dabei müssen Sie
natürlich strengste Bettruhe einhalten. Falls Ihre Kopfschmerzen stärker werden
oder noch andere Beschwerden auftreten sollten, verständigen Sie umgehend
Schwester Karin. Haben Sie noch Fragen? Gibt es irgendwelche Unklarheiten?«
    Lisa war nicht in der Lage, überhaupt einen klaren Gedanken zu
fassen. Sie hatte die salbungsvollen Worte des Arztes kaum verstanden. Der
einzige Sinneseindruck, der ungehindert in ihr Bewusstsein vordringen konnte,
war die Anwesenheit Gromeks, und seine physische Präsenz

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