Gromek - Die Moral des Toetens
ungarische Luger
mit 14-Schuss-Magazin und Kaliber 9 mm aus dem Holster unter seinem
Jackett hervor und schraubte bedächtig einen Schalldämpfer auf. Dann
entsicherte er sie, wobei die Waffe hell und metallisch klickte. Auf dem Kopf,
der eine beginnende Glatze erkennen ließ, trug Bubeck einen feingliedrigen,
drahtlosen Kopfhörer, dessen Bügel sich um die Wange herum vor seine
fleischigen Lippen schob. Das ergonomisch geformte Gerät endete in einem nur
millimetergroßen mattschwarzen Mikrofon, dessen Ende so lang, dünn und eckig
wie ein halbes Streichholz war. Wolfgang Bubeck sprach routiniert - leise,
sparsam, emotionslos - und mit einem so gut wie nicht hörbaren ostdeutschen
Dialekt mit Berliner Einschlag:
»Bin in Position. Erfolgsaussicht 100 Prozent.«
Wenige Augenblicke später erhielt Bubeck eine Antwort. Klar und
kurz drang es aus dem Kopfhörer:
»Zielperson ist noch nicht freigegeben! Wiederhole: Zielperson ist
noch nicht freigegeben! Weitere Anweisungen folgen.«
Bubeck rührte sich nicht vom Fleck. Nur sein Kopf bewegte sich und
musterte aufmerksam die Umgebung. Aus dem Büro drang nach wie vor Freiherr von
Hohenfels-Selms Stimme.
»... um 20 Uhr. Gut. Ich hole Sie ab, unten an der Bar ...«
Bubeck näherte sich der Bürotür. Mit dem Rücken zur Wand setzte
der Berufskiller bedächtig einen Fuß neben den anderen, so vorsichtig, als
befände er sich auf einem schmalen Felsgrat in schwindelnder Höhe. Die Luger
hielt er mit beiden Händen. Seine Ellenbogen waren angewinkelt, der Lauf mit
dem Schalldämpfer zeigte senkrecht zur Decke. Millimeter für Millimeter beugte
Bubeck sich vor, bis er den Referenten mit einem Auge sehen konnte. Freiherr
von Hohenfels-Selm kritzelte gerade etwas auf ein Stück Papier, wobei er den
Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt hatte.
»Bin in Position!« flüsterte der Killer.
Doch er erhielt keine Antwort.
Bubeck lehnte sich wieder zurück und überlegte, wie es weitergehen
sollte.
Mit einem fröhlichen Pfiff durch die Zähne legte Stephan Freiherr
von Hohenfels-Selm den Hörer auf die Gabel. Geräuschvoll küsste er den Fetzen
Papier, auf dem er die Verabredung mit Simone festgehalten hatte, einer überaus
bezaubernden Belgierin, die seiner Ansicht nach ausreichend Verständnis für
anregende Aktivitäten jenseits des Berufsalltags aufbrachte. Bester Dinge trat Freiherr
von Hohenfels-Selm aus dem Büro, schloss die Tür und schlenderte Richtung
Fahrstuhl.
Dort wartete Bubeck.
Ahnungslos stellte Stephan Freiherr von Hohenfels-Selm sich neben
seinen Mörder und drückte den Fahrstuhlknopf. Er blickte zu Bubeck, den er aufgrund
seines Headsets für einen Mann vom Sicherheitspersonal hielt, musterte
desinteressiert sein Profil und lächelte ihn unverbindlich an.
Der wendete ebenfalls den Kopf, erwiderte den Gruß auf die gleiche
unverbindliche Art, vermochte seinem Opfer aber nicht in die Augen zu sehen. Im
selben Moment knackte es in seinem Kopfhörer:
»Falls noch in Position: Grün! Grün! Wiederhole: Grün!«
Bubeck wandte sich dem Referenten zu und fragte ihn vertrauenerweckend
höflich:
»Stephan Freiherr von Hohenfels-Selm?«
Der Angesprochene kniff die Augen zusammen, ohne jedoch auf
Bubecks Sicherheitsschild etwas erkennen zu können. Arglos sprach er die
letzten Worte seines jungen Lebens: »Ja, der bin ich. Und Sie sind Herr ...?«
Die gespielte Höflichkeit aus Bubecks Gesichtszügen verschwand. Er
zog seine Luger, richtete sie auf Stephan Freiherr von Hohenfels-Selms Brust
und gab ohne irgendeine sichtbare Gefühlsregung zwei Schüsse auf den Referenten
ab. Nur sein rechter Mundwinkel zuckte bei jedem Rückstoß krampfartig nach
unten.
Tödlich getroffen brach Stephan Christian August Heinrich Freiherr
von Hohenfels-Selm vor der Fahrstuhltür zusammen, die sich einen Moment später
mit einem hellen »Ping« mühsam auseinanderzog.
Der Lift war leer, was Bubeck die ärgerliche Liquidation unliebsamer
Zeugen ersparte. Er stieg hinein und drückte auf einen der Knöpfe.
Die Fahrstuhltüren schlossen sich.
2 . Erinnerung
Berlin-Mitte am Spreebogen, in Sichtweite des Brandenburger Tors,
nur einen kräftigen Steinwurf vom Regierungsviertel entfernt: Wie ein hochkant
aufgestelltes Gewächshaus ragte das ultramoderne, spiegelverglaste Hochhaus der Deutschen BodenGrund-Versicherung AG in den wolkenverhangenen
Nachmittagshimmel. Mit der Errichtung des Gebäudes war bereits wenige Monate
nach der Wende, noch im Sommer 1990, begonnen
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