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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lutz
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Er verdrehte die Augen
über die Märchenleidenschaft seiner Schwester, während er sie gleichzeitig mit
einer abfälligen Handbewegung zu ärgern versuchte.
    Julia reagierte nicht darauf, sondern schaute Gromek erwartungsvoll
an.
    Der begriff erst, als sich Lisa halb fragend, halb entschuldigend
nach ihm umsah, anscheinend in der Hoffnung, er werde ihre Tochter nicht
enttäuschen. Etwas steif kam er der Aufforderung nach. Er setzte sich auf
Julias Bett und nahm das schon etliche Gebrauchsspuren aufweisende Buch in
einer Art entgegen, als handelte es sich um eine heiße Tasse Kaffee ohne
Henkel.
    Julia blickte zu Gromek auf und war ganz Ohr. Hilfsbereit soufflierte
sie: »Seite einundzwanzig.«
    »Nicht schon wieder«, maulte ihr Bruder, der jetzt endgültig in
seinem Bett lag, von nebenan. »Die Geschichte habe ich in den letzten Wochen
mindestens zehnmal gehört.«
    »Dann wirst Du sie Dir eben ein elftes Mal anhören müssen«, wies
Lisa ihren Sohn zurecht. Sie war ärgerlich. Daniels ständige Attacken gegen
seine jüngere Schwester zerrten schon seit geraumer Zeit an ihren Nerven. Sie musste
zusehen, dass sich das möglichst bald änderte.
    Gromek sah Julia kurz an, räusperte sich und begann vorzulesen.
Schon nach den ersten zwei Sätzen zeigte sich, dass er durchaus das Zeug zum
Märchenerzähler gehabt hätte:
     
    »Es war einmal ein König, der lebte mit seiner Königin in einem
fernen Land. Sie hatten drei Töchter, die waren so schön wie die aufgehende
Sonne. Die Älteste von ihnen sollte bald heiraten. Doch kurz vor der Hochzeit
erkrankte ihr Vater, der König, schwer, und verlor dabei sein Augenlicht. Der
König und seine Königin waren verzweifelt. Die drei Prinzessinnen litten so
sehr mit ihrem Vater, dass die älteste von ihnen die Hochzeit absagen ließ. Sie
wollte erst heiraten, wenn ihr Vater wieder sehen könnte. Alle Ärzte des Reiches
kamen am Königshof zusammen, doch keiner konnte ihm helfen. Da war das
Wehklagen groß am Königshof. Die älteste Prinzessin aber ließ überall bekannt
machen, dass sie nur dem ihre Hand geben wollte, der ihren alten Vater heilen
konnte ...«
     
    Als Gromek ins Wohnzimmer zurückkehrte, hatte Lisa die Couch
bereits zur Schlafstätte umfunktioniert. Müde saß sie in einem Sessel und
betrachtete den reich mit Ornamenten verzierten Orientteppich, der den Boden
bedeckte. Erst als ihr Gast mitten im Zimmer stand, bemerkte sie, dass sie
nicht allein war.
    »Ich hoffe, ich habe Ihre Tochter nicht in den Schlaf gelangweilt
...«
    Doch Lisa war für ein Gespräch nicht mehr zu haben. Sie stand auf
und reichte Gromek einen Pyjama. »Das haben Sie bestimmt nicht. Hier, der ist
von meinem Mann. Er müsste Ihnen passen.«
    Sie drehte sich um verließ den Raum, ohne einen einzigen Blick
zurückzuwerfen. Gromek setzte sich erschöpft auf das provisorische Bett. Er zog
seine Glock hervor, betrachtete die Pistole mit leeren Augen von allen
Seiten und legte sie auf einen kleinen Tisch neben der Couch. Einen Moment
später schüttelte er den Kopf und nahm die Waffe wieder in die Hand. Er
überlegte, wo er sie sonst noch griffbereit und gleichzeitig sicher deponieren
könnte. Schließlich legte er die Glock kurzerhand unter sein Kopfkissen.
    Einen Stock höher saß Lisa in ihrem Schlafzimmer ebenfalls erschöpft
auf der Bettkante und angelte sich müde ihr Nachthemd aus dem Kleiderschrank.
Als sie ihr Kopfkissen aufschüttelte, hielt sie plötzlich inne. Ohne auch nur
einen Gedanken daran zu verschwenden, warum, nahm sie ihre SIG-Sauer aus
der Handtasche und legte sie unter das unbenutzte Kopfkissen ihres Mannes neben
sich.
    Im Wohnzimmer lag Gromek inzwischen in seinem Bett. Er hatte den
Fernseher eingeschaltet. Der Pyjama, den Lisa ihm gegeben hatte, passte
tatsächlich. Lethargisch, weil er trotz seiner Erschöpfung nach dem langen Tag
nicht einschlafen konnte, zappte er sich durch die Programme und blieb
schließlich eher zufällig bei den 23-Uhr-Nachrichten hängen. Es wurde gerade
über eine Pressekonferenz des Bundesinnenministers berichtet, die am frühen
Nachmittag stattgefunden hatte. Minister Dr. Hubertus Steinhammer war zu sehen,
wie er erregt in die zahlreich vor ihm aufgebauten Mikrofone sprach: »... Die
rückhaltlose Aufklärung dieses feigen Mordanschlages auf einen meiner
Mitarbeiter ist unser erklärtes Ziel. Ich werde mich von diesem
terroristischen Akt nicht in meiner Arbeit und meinem Wirken für das Wohl
Deutschlands manipulieren lassen! ...«
    Gleich als

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