Gromek - Die Moral des Toetens
Kleidung angezogen. Aus ihrer
Handtasche holte sie jetzt eine durchsichtige Plastiktüte hervor, in der sich
Alexander Holtz' Kampfmesser befand. Gromeks Blut klebte noch an seiner Klinge.
Sie überlegte, was sie mit der Waffe machen sollte. Schließlich warf sie die
Tüte samt Messer entnervt in den Mülleimer und häufte einen Teil des schon
vorhandenen Abfalls darüber. Lisa drehte sich um und erblickte Julia, die
hinter ihr im Türrahmen stand.
»Was machst Du da, Mami?«
Lisa atmete tief durch, ehe sie antwortete. Sie hatte Julia nicht
kommen hören: »Nichts besonderes, mein Schatz. Ich räume nur ein bisschen in
der Küche auf.« Dann hob sie ihre Tochter hoch und setzte sie neben sich auf
die Spüle.
»Ich soll dich von Herrn Gromek was fragen. Er will wissen, ob Du
eine Marga ..., eine Marga ...«
»Eine Margarita?« half Lisa aus.
»Ja, eine Margarita. Ob er Dir eine machen soll. Uns hat er mit
diesem silbernen Ding was ganz Tolles gemixt. Mit Zitronen, Orangen, und Ananas-Saft.
Wie das heißt, hab ich aber vergessen.«
»So, so. Na, wir können ihn ja nochmal fragen, wie das Getränk
heißt.«
Julia nickte begeistert. »Und? Soll er Dir nun eine Margarita machen?«
»Ja, warum eigentlich nicht«, überlegte Lisa laut. »Sag ihm, das
ist eine gute Idee.«
»Kennst Du ihn schon lange? Warum hast Du ihn denn früher nie
mitgebracht?«
Lisa suchte nach einer Antwort. Um Zeit zu gewinnen, wusch sie
ihre Hände, die eben noch Tüte und Kampfmesser gehalten hatten, sorgfältig ein
zweites Mal ab. Schließlich antwortete sie: »Ja, weißt Du, wir sind
Arbeitskollegen, aber wir haben uns erst vor ganz kurzer Zeit kennengelernt.«
Julia blieb stumm. Sie schien diese Information erst verarbeiten
zu müssen.
»Ich hoffe, es macht euch nichts aus, wenn Herr Gromek heute bei
uns übernachtet.«
Julia störte das nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil. Es hatte
den Anschein, als träume sie schon davon, jeden Abend einen anderen Cocktail
von ihm gemixt zu bekommen. Fröhlich plapperte sie weiter, ohne zu überlegen:
»Wo denn? In Vatis Bett?«
Lisa lachte auf: Ȁh, nein. Im Wohnzimmer, mein Schatz. Wo denn
sonst?«
Eine gute Stunde später - sämtliche Cocktails waren getrunken und
von allen Seiten gelobt worden - saß Gromek mit Daniel in dessen Zimmer,
während Lisa ihre Tochter ins Bett brachte. Beide hatten ihre Stühle vor den
zirpenden und knatternden Computer gezogen, auf dessen Bildschirm ein wenig
geistreiches Computerspiel mit dem Titel Showdown on Planet Earth in
3D-Animation lief. Im wesentlichen ging es darum, mit der eigenen Raumflotte
möglichst viele der bizarren Sternenkreuzer eines intergalaktischen Bösewichts
mit Namen D.a.r.k. abzuschießen, der aus einer Parallelwelt kam, um die
Erde zu vernichten. Daniel war bereits an der Grenze zur vierten Spielebene,
deren Aufgabe darin bestand, dem Stellvertreter von D.a.r.k., einem
Cyborg der neunten Generation namens DERVANT, den Garaus zu machen. Gromek sah
dem laserstrahlendurchzuckten Treiben auf dem Monitor verständnislos zu.
»Macht das Spaß?«
Daniel antwortete nicht sofort. Mit feuchten Händen umklammerte er
den Joystick und war Joe Dallas, der beste Kampfschiffpilot der irdischen
Staatengemeinschaft des Gottkaisers. Jeder feindliche Treffer an seinem Schiff
kostete Punkte, Feuerkraft und Lebensenergie. Ohne die Augen abzuwenden,
erwiderte Daniel nach einer gewissen Verzögerung: »Na klar! Und das Tollste
ist: Man kann es ganz allein spielen, ohne dass einem jemand dazwischenfunkt.«
Lisa betrat das Zimmer. Auf die Entscheidungsschlacht am Bildschirm
nahm sie zu Daniels Ärger überhaupt keine Rücksicht: »So«, begann sie in einem
Tonfall, der völlige Unkenntnis und grenzenloses Desinteresse verriet, »Schluss
für heute, Daniel. Auch für dich wird es langsam Zeit zum Schlafengehen. Die
Rettung der Erde und der interplanetaren Völkergemeinschaft kann auch bis
morgen warten.«
Als die Kinder endlich zugedeckt in ihren Betten lagen, kam ihre
Mutter noch einmal in jedes der beiden Zimmer, um gute Nacht zu sagen. Gromek
stand etwas deplatziert in Julias Türrahmen, als ginge ihn das alles nichts an.
Doch anstatt sich schlafenzulegen, machte Julia ihre Nachttischlampe noch
einmal an und kramte eifrig eines ihrer zahlreichen Kinderbücher hervor.
»Unser Vati hat uns jeden Abend ein Märchen vorgelesen.«
»Jeden Abend«, bestätigte Daniel, der zu Lisas Unmut noch einmal
aufgestanden war und Richtung Bad ging, im Vorbeigehen.
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