Gromek - Die Moral des Toetens
Kilar.
Von Eckersdorff rang um seine Fassung. Einen vergleichbaren Fall
hatte es während seiner gesamten Amtszeit nicht gegeben: Einer der eigenen
Männer hatte seinen Führungsoffizier abgehört! Und das in der Zentrale von Sektion-4 ,
die als vollkommen abhörsicher galt! Trotz seines Ärgers kam er nicht umhin,
Gromek für seinen Mut und seine Risikobereitschaft zu bewundern. Er atmete
einmal tief durch.
»Letztendlich«, grollte er, »kann ich Ihnen keinen Vorwurf daraus
machen, Viktor. Das hätte jedem von uns passieren können. Aber jetzt überlegen
Sie mal ganz genau - was kann Gromek in den letzten Tagen gehört haben? Bis
morgen früh brauche ich von Ihnen einen detaillierten Bericht.«
Kilar nickte knapp.
»Es wird Zeit, die Sache zu beenden.«
Von Eckersdorff griff nach der Akte, um sie Viktor Kilar zu
übergeben. »In dieser Akte finden Sie alles, was Sie brauchen, um Michael Gromek
schnell und sauber aus dem Verkehr ziehen zu lassen. Ein geeignetes Mittel wäre
da wohl ein reguläres Sondereinsatzkommando der Polizei.«
»Ein SEK?« fragte Kilar nervös. »Wird es da nicht Schwierigkeiten
geben? Warum lassen wir das Problem nicht von unseren eigenen Leuten
erledigen?«
»Das fragen Sie mich noch, nach allem, was wir soeben in Erfahrung
gebracht haben?!« Herrmann von Eckersdorff' Augen glühten vor Ärger. Doch ihm
war klar, dass er sein Ziel nicht erreichen würde, wenn er so kurz davor die
Beherrschung verlor. Er deutete auf die Akte mit dem Namen ›Operation Alamut‹,
die jetzt sein Abteilungsleiter in der Hand hielt. »Nach dem Studium dieser
Aufzeichnungen wird Ihnen klar sein, Viktor, warum es in diesem Fall mit den
Kollegen vom SEK keine Schwierigkeiten geben wird.«
Dann schritt er aufrechten Ganges zur Tür. Dort angekommen, legte
er die Hand auf die Klinke und drehte sich noch einmal zu seinem
Abteilungsleiter um. Seine Stimme klang ausgesprochen scharf, als er anordnete:
»Ab jetzt keine Fehler mehr! Sonst geht es uns an den Kragen!«
Der Fernseher in Lisas Wohnzimmer präsentierte weiterhin sein
Programm. Das bläuliche Flimmern, das er ausstrahlte, zuckte über Gromeks
Gesicht. Um diese Zeit wurden nur noch mit Musik unterlegte Bilder
ausgestrahlt, die den blauen Erdball vor dem schwarzen Firmament zeigten, einstmals
aufgenommen von einem amerikanischen Space Shuttle aus 399 Kilometern Höhe.
Gromek schlief unruhig. Stirn und Wangen glänzten vor Schweiß. Plötzlich fuhr
er mit einem rauen Schrei aus seinem Alptraum hoch. Als er endlich realisiert
hatte, wo er sich befand, beruhigte sich sein Atem wieder. Er strich sich mit
der Hand über die Haare. Dann blickte er zum Fernseher hinüber, auf dessen
Bildschirm Madagaskar und der ostafrikanische Kontinent zu sehen waren. Langsam
holte er seine Glock hervor und entsicherte sie.
Mit Augen wie aus Stein warf Gromek einen Blick auf Afrika, bevor
er den Lauf der Pistole langsam auf seine rechte Schläfe richtete.
Der Finger am Abzug krümmte sich nervös.
Nach einigen Sekunden, die ihm selbst wie eine Ewigkeit vorkamen,
setzte Gromek die Waffe mit einer schnellen Bewegung wieder ab. Er sicherte sie
erneut und legte sie zurück unter das Kopfkissen.
Zur gleichen Zeit drang aus einem der Kinderzimmer die helle,
weinerliche Stimme der kleinen Julia: »Mami, ich kann nicht schlafen!«
Kurz darauf schallte die von Müdigkeit betäubte Stimme ihrer
Mutter kaum vernehmbar bis ins Wohnzimmer: »Ich komme, mein Schatz. Ich komme
ja schon.«
12 . letzter Versuch
Als Lisa am nächsten Morgen nach einem dezenten Anklopfen das
Wohnzimmer betrat, um die bis zum Boden reichenden Vorhänge aufzuziehen, lief
der Fernsehapparat immer noch. Gerade wurde ein rasanter Tom & Jerry -Cartoon
gezeigt, dessen schnelle Bildfolge jede Sekunde etwas Neues für das Auge bot
und sich zuweilen zu überschlagen drohte. Michael Gromek war bereits wach. Er
hatte den Ton leise gestellt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt.
Skeptisch betrachtete er das hektische Treiben der Zeichentrickfiguren, ohne
dabei das Geschehen auf dem Bildschirm tatsächlich wahrzunehmen.
»Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?« erkundigte sich Lisa und
versuchte, die Frage nicht als unbedeutende Floskel erscheinen zu lassen.
»Ja, danke, sehr gut sogar«, antwortete Gromek mit einer glatten
Lüge, die er aber nicht als solche empfand. Er wollte schlichtweg nicht
unhöflich sein und seine Gastgeberin auf keinen Fall mit irgendwelchen
Schlafproblemen oder ähnlichem
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