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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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befohlen, die Platten in den Keller zu tragen. Sie hatte sie nicht ansehen, nicht anhören wollen. Der einzige Nachmittag, behauptete der Bruder, an dem sie ihre Geschäftigkeit, ihr Herumräumen und -rechnen einmal für wenige Stunden unterbrochen, sich ins Bügelzimmer eingeschlossen habe. Nur das Ratschen sei von außen zu hören gewesen, das kurze heftige Geräusch, wenn sie ein Streichholz anrieb und sich eine Zigarette ansteckte, ansonsten habe einmal Ruhe geherrscht.
    Als sie Jahre später in den Keller an die Plattenkisten gegangen war, war der Bruder nicht dabei gewesen. Gerade als die Streitereien nachließen, hatte er, vielleicht aus einer Laune heraus, vielleicht nach einem lange gehegten Beschluss, das Haus verlassen, war morgens in die Schule aufgebrochen, mittags nicht heimgekehrt.
    Liebe Mutter, hatte in dem ersten Brief gestanden und an den Bruder gar keine Anrede, doch fuhr Viktor in der Mehrzahl fort: Sucht mich nicht. Was soll man damit anfangen, fragte die Mutter, als wäre Schramm nicht bloß seines Bruders Hüter, sondern als wären sie beide ein und dasselbe, auf ein und dieselbe Art und Weise zu fassen und zu begreifen. Das Erste, was sie ihm unter die Nase hielt, als er an einem Wochenende aus der Stadt heimgekommen war, das Erste, dachte er, was sie ihm anstelle einer Begrüßung hinhielt, war jener Brief, und mit dem Brief der für den Bruder gemeinte, an ihn, Schramm, gerichtete Vorwurf.
    Geh mir weg damit, sagte Schramm. In der Stadt hatte er ein Zimmer, er besuchte Vorlesungen, und obwohl er seine Fächer fast zufällig gewählt hatte, fesselten und beruhigten sie ihn. Es fiel ihm alles leicht. Glücklich, dass es nach den in der Schule gelernten Vereinfachungen noch nicht zu Ende war, rechnete er mit Zahlen, denen keine in der Welt mögliche Menge entsprach und keine Ausdehnung im Raum. Er dachte sich in tiefere Gräben hinein. Es konnte vorkommen, dass er an seinem Tisch bloß saß und staunte, wenn er bedachte, wie der Boden unter den Füßen erst dorthin geschoben worden war, Gesteine sich gegeneinander zu Gebirgen getürmt hatten, wie alles, was war, erst hatte werden müssen, in einem nicht abgeschlossenen, nicht abzuschließenden Verlauf, vor dem ein Mensch lächerlich wird, nackter hysterischer Bewohner des eben erst trockengelegten Meeresgrunds. Seit er zum ersten Mal davon gelesen hatte als Kind, in einem geschenkten, bunt illustrierten Buch, hatte er es sich oft und gern ausgemalt. Ein einziger Schwall jagte heran, rollte hinweg über das Tal, das Städtchen und alle umliegenden Täler und Städte, so dass alles, was jetzt noch Gebiet, Landschaft war, wieder am Grund irgendeines jungen Meeres, vielleicht Weltmeeres zu liegen kam.
     
    Ein einziger Schwall, so hatte er es sich vorgestellt als Kind, und selbst später, als er es schon genauer verstand, phantasierte er noch einen erneuten Einbruch der Naturgewalt. Auf einen Schlag, so schnell, wie niemand denken kann, wären die Verwirrungen aufgelöst, sie wären einfach nicht mehr wichtig gewesen. Der Bruder nicht und nicht das Mädchen mit den kleinen Händen. Sie hatte auf Schramm herabschauen können, als der das Fahrrad hochzerrte, im Aufrichten auf ihre bunt bedruckte Bluse sah, ihre strammen Arme, an den Achseln eingeschnitten vom dünnen Stoff. Etwas Einnehmendes, dicht an ihn Herangerücktes hatte sie, während der Bruder sich wie nicht anwesend im Hintergrund hielt, als das Mädchen seine Frage an Schramm richtete, in einem fast freundlichen, jedenfalls harmlosen Ton: Hast du genug gesehen.
    Der Bruder war dabei gewesen, dicht neben ihnen beiden hatte er gestanden und zugeschaut, wie sie die Hand nach Schramm ausstreckte, ihn in die Wange kniff. Er war dabei gewesen, er hatte es gut und genau sehen können, nur nichts gesagt, dachte Schramm. Sich vornehm zurückgehalten hatte der Bruder, zufrieden, dass er nun, wenn er wollte, wieder und wieder die Geschichte erzählen könnte, wie der Ältere ihm und seinem Mädchen heimlich ins Gebüsch gefolgt war.
    Nicht meine, antwortete Viktor, befragt, wie er zu dieser oder jener Frau stand, ob sie eine flüchtige Bekanntschaft oder seine Freundin oder noch etwas mehr sei. Jedes Mal antwortete er in diesem herablassenden Ton, das Gewicht auf die kleinen Worte legend, weil Schramm noch immer nicht gelernt hatte, dass gerade auf diese zu achten war, wollte man nichts Falsches sagen.
    In der Kindheit, so sagte Viktor und dabei blieb er, lägen die Ursachen, warum er sich an nichts

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