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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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hat gesagt, ich habe niedrigen Blutdruck. Das ist Veranlagung, ich soll Sekt trinken, sagt er, wenn mir wieder schwarz wird, Sekt. Ich würde gern mit deinem Bruder darüber sprechen. Wo er ist, gibt es kein Telefon. Wenn er nur hier wäre. Kannst du nicht auch einmal ein Wort sagen. Er passte seine Schritte ihren an, er konnte ihren Atem riechen. Du hast Glück, sagte sie, als sie von der Toilette kam. Ihre Wangen glänzten nicht mehr, wahrscheinlich hatte sie sich auch gekämmt. Lange hatte er am Fenster gestanden und den Rasen angesehen, die vom Vater gepflanzte Weymouthskiefer, die er so verabscheute. Er hätte ihr von der Stadt erzählen können, von der Schule. Auf einen Kaffee, eventuell ein Abendessen, dieses lange Wochenende vertun. Die Mutter öffnete den Vitrinenschrank. Der Rasen war in keinem guten Zustand. Du hast Glück, wiederholte sie, indem sie Gläser füllte, Glück, dass ich noch nicht meine Siesta angefangen habe. Normalerweise, sie sah auf die Uhr, normalerweise schlafe ich jetzt schon. Sie zündete sich eine Zigarette an. Sie sollte nicht allein sein, besser, jemand sähe nach ihr. Die Stadt kam ihm in den Sinn, sein Zimmer, das Gymnasium, der Kaiserreichsbau mit seinen hohen Räumen, Sälen und Gängen. Die Schweifgiebel einer Allee zugewandt, wo die Straßenbahn fuhr. Eine Allee aus Robinien, falsche Akazien mit traubigen Blüten, sie fielen im Juli und klebten an den Windschutzscheiben, Spuren, die sich nur schwer entfernen ließen. Keine gute Gegend. Die Kinder kamen aus besseren Vierteln, sie lernten tote Sprachen und bildeten sich etwas ein. Schramm dachte an den einen mit seiner Narbe im Gesicht. Und noch dieses, jenes fiel ihm ein. Nichts, was den Entschluss berührte, den er, an einem anderen Rand des Bewusstseins, da schon längst gefasst hatte, es war sein Entschluss. Nichts, was fehlen würde, dachte er, es würde sich etwas anderes ergeben. In seinen Fächern herrschte Mangel. Darauf konnte er bauen. Noch an dem Tag begann er, die Beete zu jäten, der Garten war in keinem guten Zustand.
    Selten noch hatte er zurückgedacht. An die Stadt und das Schulhaus, die Klassenfahrt mit den Abiturienten nach Griechenland. Inseln und Steine, billigster Wein. Er hatte es mit dem Bruder besprechen wollen, wie er während der Fahrt mit den Jungen und Mädchen um eine lange Tafel gesessen hatte und alles immer fröhlicher geworden war, immer ungezwungener. Zum Du war er mit ihnen gekommen und hatte sich nichts gedacht. Nichts, als der Vorschlag für ein Spiel kam, Wahrheit oder Pflicht , hatte das Narbengesicht gerufen, unter hysterischem Gelächter, und wirklich, dachte Schramm, was für ein lächerliches Spiel, allein der Name, Wahrheit oder Pflicht , als ob es da etwas zu wählen gäbe.

N icht der Bruder, Schramm vielmehr hatte in der Kindheit als Erster vom Fortgehen gesprochen. Er war es gewesen, der ihre Spiele anleitete, anordnete, wohin die Expeditionen führten, durch die Schonung zur Brache beim alten Sägewerk, wo später das Freibad gebaut wurde. Er derjenige, der die Namen nannte, die Breitengrade wusste und wann dort Tag war, wann Nacht und wann keines von beiden. Weniger, um den Bruder zu unterhalten, hatte er ihm, der sich mit dem Lesen schwertat, Abenteuer aus Büchern immer wieder erzählt, abends flüsternd, morgens auf dem Weg zur Schule. Auf ihn eingeredet hatte er, nicht unbedingt, um ihn zu unterhalten, dachte Schramm, nicht, weil es ihm auf einen Austausch angekommen wäre. Irgendeiner hätte da neben ihm gehen können, irgendein Mensch, der sich anhörte, wie er den Abenteuern, die in den Büchern so enttäuschend ausfielen, andere Fortsetzungen zufügte, kompliziertere Handlungen, fernere Orte. Ohne eine weitergehende Absicht, ohne zu verstehen, was er tat, hatte er damals diese Ideen und Wünsche, die der Bruder später als seine eigenen auffasste, ohne es zu merken, eingepflanzt.
    Schon früh hatte Schramm mit dem Lesen aufgehört, mit dem Erzählen nicht viel später. Spätestens, als der Bruder, mit acht, neun Jahren anfing, seine Geschichten nachzureden, natürlich mit Fehlern darin, immer mit dem Verweis, von ihm, Schramm, habe er diese Geschichten, er, Schramm, habe behauptet, sie seien wahr. Einige Male war es passiert, dass Dritte, meist Erwachsene, ihn belustigt oder böse darauf ansprachen. Der Bruder hatte nicht gut zugehört. Die Erwachsenen ebenso wenig. Sie brachten alles durcheinander, darum hörte sich, was er dem Bruder erzählt hatte, aus ihren

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