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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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seine Suppe ganz kalt geworden sein musste. Schielend blickte er auf die Pfütze im Löffel, auf die unter seinem Blasen gewellte Haut. Mit rundem Rücken saß er da und spitzte seinen Mund. Hat er wieder den lieben langen Nachmittag hinter seinem Erdhügel gehockt, fragte der Vater und zeigte mit dem Kinn auf Schramm. Schau ihn dir an, sagte der Vater und ruckte mit dem Kinn, zum Bruder hin: Wie der den Löffel hält. Wie er zwinkert, beschwerte er sich: Wie eine Frau. Das wächst sich nicht aus. Und er kaute lange und verdrossen am zur Suppe gereichten Brot.
    Einmal nahm der Bruder bei Tisch ein Messer, und fing, indes der Vater längst bei einem ganz anderen Gegenstand war, in seinen Handrücken zu schneiden an. Ganz ruhig und ohne aufzusehen. Leise und schnell rann das Blut, von seiner Hand in die Suppe, auf das wächserne Tischtuch und in die Manschetten seines Hemdes hinein. Doch anstatt ihren üblichen Lärm zu veranstalten, verstummten die Eltern und bewegten sich mit einer an ihnen nie gesehenen Schnelligkeit und Präzision. Stumm huschte die Mutter nach dem Verbandskoffer und reichte dem Vater die Instrumente; als hätten sie sich insgeheim schon lange auf einen solchen Moment eingestellt, vielleicht sogar vorbereitet, hantierten sie zu zweit am Bruder, der ihre Handgriffe ohne Wimmern und Jammern ertrug, selbst als der Vater die jodgetränkte Binde auf die Schnittwunden presste.
    Damals schon hatte er diesen ganz bestimmten Ausdruck im Gesicht gehabt. Daran erinnerte Schramm sich ganz genau. Als Kind schon hatte Viktor gern dieses spezielle Lächeln aufgesetzt. Einen Ausdruck vornehmen Stolzes, nachdem es ihm gelungen war, mit einer einfachen kleinen Tat den gewohnten Ablauf der Dinge so in Unordnung zu bringen, dass man sich für immer daran erinnern sollte. Die Miene, mit der man verkündet: »Ich gehe fort und komme nicht mehr wieder!«, mit Mantel und Mütze, den Sack geschultert, Hand an der Klinke, über die Schulter der Blick, der sich des Nachhalls seiner Worte versichern muss.
    Sooft der Bruder davon gesprochen hatte, es sei hier nicht zum Aushalten, so gründlich er behauptet hatte, fortzumüssen, und zwar für immer, so verlässlich war er zurückgekehrt, zwar nicht in regelmäßigen Abständen, aber doch jedenfalls immer wieder. Nur wenn man umgekehrt ihn in der Stadt besuchen wollte, ob mit oder ohne Ankündigung, fand er immer einen Grund, warum es gerade jetzt nicht günstig sei; oder aber er rief, hatte man eine Nachricht hinterlassen, niemals zurück.
    So oder so würde Schramm ihn nicht hinauswerfen können, ohne von ihm darauf hingewiesen zu werden, dass meist er, Schramm, auf ihren Treffen bestand. Regelrecht erbeten habe er sich zum Beispiel den letzten Besuch: So stellte Viktor es mittlerweile dar. Das traf in dieser Formulierung zwar nicht zu. Aber Schramm durfte nicht im Voraus auf diese Haarspaltereien eingehen, nicht zulassen, dass der Besuch bereits jetzt sein Denken ganz in Besitz nahm.
    Ob Viktor nachfragen würde, sich erkundigen und bei wem, musste man sich fragen, ob der Bruder eine Zweideutigkeit bemerken wollte, verstehen konnte, im Blick einer Schülermutter, im Gruß der Nachbarin, wenn er auf sie traf bei seinen Gängen durch die Stadt. Bei seinen Gängen von Hecke zu Hecke, ein winkender grüßender Lockenschopf, für den man gern ein paar Kirschen pflückt, eine Anspielung macht. Ebenso gut konnte Schramm es selbst mit ihm besprechen, dachte er, es war ja kein Geheimnis, nichts Unübliches, dass einer aufhörte vor der Zeit. Es war nicht recht, wenn ein Schüler zu sehr die Nähe seines Lehrers suchte, das hatte Schramm von Anfang an gewusst, so etwas ist niemals gut. Zuletzt war er mit Waidschmidt nicht mehr sehr zufrieden gewesen. Einmal hatte er ihm eine schlechte Note geben müssen, war in der Folge aneinandergeraten mit ihm; kurze Zeit später hatte Waidschmidt alles hingeworfen. Die Nerven verloren, so konnte man es ausdrücken, hatte er, was vorkommt, gerade bei solchen Stillen, wie Waidschmidt einer gewesen war, still, doch auffällig, schon bevor er zum Schluss vollends auf die falsche Bahn geraten war.
    Das gab es zu sagen, das war auch schon alles, blieb man bei dem, was tatsächlich vorgefallen war, und deutete nichts hinein. Aber schon in diesem kleinen Ausschnitt geriet es ihm zu leicht durcheinander, und der Bruder hörte nicht gut zu.

S chramm hatte sich die ganze Auffahrt vorgenommen. Gut drei Tage würde er daran zu tun haben, wahrscheinlich

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