Große Ferien
gesagt, und es war wieder vernünftig geworden um ihn: Bei der Sache sein muss einer, muss wissen, wo er steht und welcher Schritt als Nächstes zu tun ist. Kinder riechen den Braten, sie wissen, hob er an, wenn einer sich seiner Sache nicht sicher ist, nicht weiß, wo es als Nächstes, weißt du eigentlich, wie sie dich nennen, fragte sie und barg ihren Mund hinter der Faust, blinzelte hinauf zu ihm mit kurzen, kittschweren Wimpern, die zerbröckelten zu Rußsplittern auf ihr Tränenbein. Weißt du, wie sie dich nennen! Was sie das kümmerte, hätte er fragen müssen. Zumindest war in keiner seiner Stunden ein lautes Wort gefallen. Und als einmal etwas geschehen war, hatte er von sich aus einen klaren Schnitt gesetzt.
Rasch war er abgekommen von der Idee, Waidschmidt zu besuchen, in der Klinik, wohin dieser gebracht worden war nach seinem sogenannten Zusammenbruch. Schramm dachte an die Klinik, eines dieser Zimmer, in dem Waidschmidt jetzt bis auf weiteres verwahrt würde, zwischen rundgeschliffenen Holzmöbeln, einer Topfsukkulente, Fenster zum Tal. Ein Fenster, das sich nicht öffnen, nur kippen ließ, wo Waidschmidt vermutlich, wie man es von ihm kannte, Stirn am Glas, stundenlang stand.
Aufwärts, hatte die Referendarin gesagt, gehe es mit ihm, stabil und aufwärts, waren ihre Worte gewesen, als sie Schramm aufgesucht hatte, ihm seine im Lehrerzimmerspind vergessenen Dinge zu bringen. Vor dem Tor stand sie, an die Rahmenstange eines schwarzen Herrenrads gelehnt, und hielt ihm einen rissigen Stoffsack hin. Es ist wohl die glücklichste Lösung, sagte Schramm und nahm ihr den Beutel aus der Faust. Der Hausmeister hatte den Spind aufbrechen müssen. Ein Buchkalender, eine Zeitschrift, die es umsonst gab, und eine angebrochene Dose Lutschbonbons. Aufbrechen müssen, sagte Schramm, liebe Güte. Er stellte es sich vor, der Hausmeister mit seinen Zangen und Bohrern vor der Schließfachwand, all der schon unnütze Aufruhr. Er hatte diesen Spind nicht einmal benutzt, ohnehin hatte er sich in allen Pausen im Kartenzimmer aufgehalten, seit ihm die Ordnung der Bestände aufgetragen worden war. Es war ein richtiges, von metallenen Regalbahnen in Schattenrinnen zerteiltes, nur etwas zu kleines Zimmer. Mit den Karten und Atlanten, den Erdkugeln in verschiedenen Größen, mit und ohne Relief. Was wird mit der Sammlung, fragte er, wer kümmert sich jetzt. Es sind doch erst Ferien, lachte die Referendarin. Armmuskeln gespannt, hielt sie das talwärts zerrende Rad. Sie sollte nur schauen. Da gab es nichts zu sehen hinter seinem Rücken, nichts, wovon sich im Lehrerzimmer erzählen ließ, nichts als die üblichen Bierfallen am Beetrand, Erdflecken am Hosenknie und im Küchenfenster das Herz aus Stroh. Schauen sollte sie, sollte mit ihrem Fahrrad, mit ihrer Schultertasche den Hang hinabfahren, ins Lehrerzimmer fahren und berichten, was sie gesehen, wie er ausgesehen habe und dass er ganz der Alte gewesen sei.
Er war klug genug gewesen, sich nicht blicken zu lassen, nicht in der Schule und in der Klinik erst recht nicht. Nicht an den Ereignissen herumzutasten. Allein die Vorstellung, wie sie ihn dort gemustert hätten, die Ärzte, die Pfleger und allen voran die anderen Verrückten.
Waidschmidt, so viel war sicher, hätte solche Bedenken abgetan, gelacht darüber, wie er alle Warnungen in dieser Richtung lachend abgetan hatte: Was meinen Sie, man redet, hatte er gefragt, was soll man denn reden, das hast du Fuchs, dachte Schramm, ganz genau gewusst. Gewusst hat er, was er tat, von Anfang an gewusst, als er nach dem Unterricht, in den Pausen vor der Kartenkammer wartete, dachte Schramm. Und er hörte Waidschmidts Reden, das gleichförmige Schnarren, in dem der seine Antworten vortrug, dem Lehrer eine Nachlässigkeit nachwies, einen logischen Fehler. Einem Fernstudium, hatte die Referendarin erwähnt, gehe er inzwischen nach. Für Recht und Wirtschaft sei er eingeschrieben und bearbeite, wie man es sich denken könne, Tag um Tag schwere Stöße Papier.
Wie man es sich denken kann. Er übertreibe, hatte es über Waidschmidt geheißen, er übertreibe, hieß es über Schramm, weil er sich mit seinen Vorhaben Mühe gab. So viel Zeit hätte ich nicht! hatte Klaußner ihm neulich erst über die Gartengrenze hinweg zugerufen. Amüsiert über die Hecke gebeugt, als er Schramm zusah, wie dieser die Raupen aus dem Ziergehölz klaubte. Man muss liegen, um sie zu finden, sie fressen von den Blattunterseiten ihrer Futterpflanzen und klammern
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