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Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Titel: Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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zerschmettern? Oder wäre sie in seinem Atem verbrannt … wie ihr Vater?
    Das Gemurmel der Halblinge erstarb, als Arok den Blick hob. Etwas Dunkles hatte sich in seine Augen geschlichen, etwas, das sein Gesicht so fremd erscheinen ließ, dass Rima fröstelnd die Schultern anzog. Etwas wie Furcht.
    »Es gefällt mir nicht, den Frieden zu brechen«, sagte er düster. »Und es gefällt mir auch nicht, Schwarze Magie in meinem Tal zu dulden. Aber der Schutz meines Dorfes steht an erster Stelle, und deshalb …« Er holte tief Luft, ehe er fortfuhr: »Geht auf die Jagd nach ihm. Schützt das Tal mit allem, was Ihr habt, und Euch wird die Dankbarkeit meines Volkes sicher sein.«
    Der Jäger verbeugte sich kaum merklich. »Haltet euch fern vom Wald der Nacht«, sagte er leise. »Bald schon wird Drachenblut seine Erde tränken.«
    Mit diesen Worten griff er nach den Zügeln. Sein Köter sprang ihm nach, als er durch die Menge ritt, und Rima spürte, dass der Jäger am Rand des Platzes noch einmal zurückschaute, als wollte er sich das Gesicht des Mädchens einprägen, das es gewagt hatte, ihm zu widersprechen. Doch sie achtete kaum auf ihn. Ihr Blick hing an der Schwarzen Flamme. Selten zuvor hatte sie ein Bild von solcher Grausamkeit und Kälte gesehen, ein Bild, das so unmissverständlich von Verzweiflung kündete, von Feuer, Zorn und Tod. Aber zugleich spürte sie den rätselhaften Zauber, der die Dunkelheit der Flamme flackern ließ, und sie ertrug die glühende Kälte auf ihrer Haut. Nein, sie zweifelte nicht daran: Nie zuvor hatte sie etwas Vergleichbares gesehen wie die düstere Schönheit im Zeichen des Drachen, als es langsam in tausend Funken zerbrach.
    Spinnweben hatten die Kellertür bedeckt und knisterten leise, als Rima sie öffnete. Sofort schlug ihr der Geruch von Zimt und Pfeifenkraut entgegen, der ihrem Vater stets angehaftet hatte, und das Licht ihrer Kerze fiel auf unzählige Kisten, Bücherstapel und Regale voller Dinge, die er einst von seinen Reisen mitgebracht hatte. Sie erinnerte sich daran, wie ihr Onkel diese Sachen nach seinem Tod hier hereingetragen hatte. Seitdem war sie nie mehr in diesem Raum gewesen. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen, die sie bei jedem Gegenstand überkamen – zumindest hatte sie das befürchtet. Aber nun, da sie die Kerzen eines Leuchters entzündete und den Blick über all die Dinge schweifen ließ, die ihr Vater ihr hinterlassen hatte, durchwehte sie die Erinnerung nicht nur schmerzhaft, sondern auch wärmend.
    Doch Rima war nicht ohne Grund gekommen. Vorsichtig machte sie sich daran, die Kisten zu durchsuchen, und schließlich fand sie ein in Leder gebundenes Buch. Die Seiten waren vergilbt und teilweise eingerissen, den Einband übersäten tiefe Kratzer, trotzdem konnte man noch immer das Zeichen erkennen, das in schimmerndem Gold auf dem Leder prangte. Die Schwarze Flamme schien aufzulodern, als sie mit den Fingern darüberstrich. Es war das Zeichen, das Kayron in den Himmel gebrannt hatte – das Zeichen der Drachen.
    Ihr Herz schlug schneller, als sie das Buch öffnete und den Blick über die Zeichnungen ihres Vaters gleiten ließ, über die Bilder von unzähligen Drachen und anderen Ungeheuern, mit Notizen über ihren Charakter und ihre Schwachstellen versehen. Von den Drachen hatte er nie viel erzählt. Man kann nicht über sie sprechen , hatte er immer gesagt. Man muss sie erleben. Dafür hatte er umso mehr von seinen anderen Abenteuern berichtet. Rima erinnerte sich daran, wie sie früher abends in ihrem Bett gelegen und ihm zugehört hatte, und sie sah ihn so deutlich vor sich, dass es ihr schien, als wäre er wirklich da. Seine Haare standen in allen Richtungen vom Kopf ab, das Buch wackelte auf seinen Knien, wenn er in wilden Gesten seine Kämpfe veranschaulichte, und jedes Mal, wenn er die Brennende Nixe oder den Schrecken des Frostgebirges beschrieb, zeigte er ihr seine Zeichnungen, und sie fuhr mit dem Finger über die Linien und meinte, die Finsternis spüren zu können.
    Sanft strich sie über seine Handschrift, die sich in geschwungenen Buchstaben über das Papier zog, und ein Schauer glitt über ihren Rücken, als sich die Bilder in ihren Gedanken änderten. Eines Tages war er krank geworden, und es war keine von den harmlosen Erkältungen gewesen, von denen Halblinge für gewöhnlich heimgesucht wurden. Er wurde blass und magerte ab, und Rima erinnerte sich noch genau daran, wie sie ihn eines Abends am Küchentisch gesehen hatte, halb

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