Große Liebe Desiree
unbehaglich ohne eine Holzlatte in der Hand, mit der Sie Ihren Worten Nachdruck verleihen könnten.«
»Sie sollten dankbar sein, daß ich da war und Ihnen geholfen habe!«
»Oh, ich fließe geradezu über vor Dankbarkeit.« Er packte ihr Handgelenk fester. Aus der Nähe konnte sie die dunkelblauen Flecken in seinen Augen sehen, den grauen Schatten auf der glattrasierten Oberlippe und die Hautabschürfung an der Schwellung auf seiner Stirn. »Ich habe nicht um Ihre Hilfe gebeten, und ich wollte sie nicht. Ich kämpfe immer allein, und ich kämpfe, um zu gewinnen.«
Sie ertrug seinen durchdringenden Blick nicht länger und schloß die Augen. Das war ein Fehler. Ohne durch andere Eindrücke abgelenkt zu sein, empfand sie mit jeder Faser ihres Körpers, wie er sich gegen sie preßte. Sie versuchte, ein bißchen Abstand zwischen sich und ihn zu bringen, doch mitleidlos folgte er jeder ihrer Bewegungen. Sie sagte sich, daß ihr Herz nur aus Angst so heftig schlug und daß der Zorn dafür verantwortlich war, daß ihr Atem so rasch ging und ihre Hände zu Fäusten geballt waren. Angst und Zorn und nicht Begehren ...
Sie hielt die Augen weiter geschlossen, als sich ihre Lippen unbewußt und lockend öffneten. Vielleicht aber war es überhaupt nicht unbewußt. Jack lockerte den Griff um ihr Handgelenk und lächelte grimmig, als sie sich ihm nicht entzog. Er schlug ihren Umhang zurück und war wie berauscht von dem zarten Duft, der aus ihren Kleidern stieg. Sie folgte der neuen Mode und trug kaum Unterröcke und kein Korsett, und als er den Arm um sie legte und sie näher zu sich heranzog, fühlte er die Reaktion seines Körpers. Er schob eine Hand nach oben, und sie seufzte leise, als er über ihre Brüste strich. Sie war warm und anschmiegsam und süß und ganz anders als die Frauen, die er kannte, und in diesem Augenblick wünschte er sich nichts sehnlicher, als sich selbst in ihr zu verlieren.
Er war kaum mehr als ein Fremder für sie, und das Leben ihres Bruders hing an einem seidenen Faden zwischen ihnen. Und dennoch - sie wußte, daß er sie wieder küssen und daß sie es zulassen würde. Nein, schlimmer noch, sie wollte, daß er es tat. Ihre Gefühle überwältigten sie und raubten ihr fast den Verstand. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Wange, als er näher kam, und seine Wärme ließ ihre Knie weich werden. Wie schaffte er es nur, ihren Zorn anzufachen und sie trotzdem nach seiner Berührung schmachten zu lassen?
»Der Teufel soll Sie holen«, flüsterte sie heiser, die Augen noch immer geschlossen, »ich hätte zulassen sollen, daß Enos Sie tötet.«
Er strich mit einem Finger über ihre Wange. »Warum taten Sie es nicht?«
Sie erschauerte unter seiner Berührung. »Weil ich meinen Bruder vielleicht nie wieder sehe, wenn Ihnen irgend etwas zustößt.«
Ihr Bruder. Für ihren Bruder würde sie alles tun, sogar mit einem Engländer schlafen. Er wußte das aus ihren Briefen, und tatsächlich schien ihm ihre Hingabe die einzige Chance zu sein, die er hatte, um sein Ziel zu erreichen. Nur ein Mittel zum Zweck war sie, bestenfalls eine Möglichkeit, seinen Fehler wiedergutzumachen, und es könnte nie etwas anderes zwischen ihnen geben. Warum also verletzten ihre Worte ihn mehr als ein Schlag mit ihrer behelfsmäßigen Waffe, die Enos Park schmerzlich zu spüren bekommen hatte?
»Sie haben Ihre Entscheidung getroffen.« Er schob sie von sich weg, und ihm wurde klar, wie nahe er daran gewesen war, seinem Ärger und seiner Enttäuschung nachzugeben und sie gleich hier zu nehmen wie ein betrunkener Seemann eine Hure.
»Ich habe keine andere Wahl, oder?« Sie stand reglos und mit unbewegter Miene, nur ihre geröteten Wangen erinnerten an das, was sich gerade zwischen ihnen abgespielt hatte.
Er seufzte. »Nein. Nein, wahrscheinlich haben Sie die nicht.«
Sie nickte, zog ihren Umhang fester zusammen, öffnete die Tür und ging hinaus. Es sah aus wie eine Flucht, und er hatte ihr weiß Gott einen Grund dazu gegeben.
Doch einen Augenblick später kehrte sie zurück. Sie hielt die Enden eines Taschentuchs in der Hand, das mit Schnee von dem unberührten Boden hinter dem Haus gefüllt war.
»Hier, pressen Sie das auf Ihre Stirn«, befahl sie schroff. »Durch die Kälte wird die Schwellung zurückgehen.«
Er nahm das Eis, und als er es sich an den Kopf hielt, stieß er einen Schmerzenslaut aus. »Sie müssen verzeihen, Madam .. .«
»Nein, nicht.« Ihre Wangen wurden flammend rot, doch sie sprach mit fester Stimme.
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