Große Liebe Desiree
alles, was ich brauche, in einem einzigen Koffer unterbringen«, erklärte Désirée mit Nachdruck. »Dies ist schließlich keine Vergnügungsreise. Und ich habe immer alles allein gemacht. Sie müssen also nicht befürchten, daß ich eine Zofe mitbringe.«
»Schön.« Er hatte sich schon gefragt, ob sie auf einer Anstandsdame bestehen würde - wie die meisten Frauen auf einem Schiff mit dreihundert Mann Besatzung-, aber er war froh, daß er sie für sich haben würde.
»Ich habe unsere Passage auf einem Küstenschiff gebucht, das morgen ausläuft.«
Sie wartete, die Hand auf der Türklinke, während er seinen Hut vom Tisch nahm. »Waren Sie so sicher, daß ich mitkommen würde?« fragte sie sanft.
»Um Ihres Bruders willen hoffte ich, wollte ich glauben, daß Sie das tun würden.« Warum nur erschien ihm die Lüge jetzt so viel schlimmer als vorher?
Sie lächelte verlegen. Selbst verschrammt und zerschlagen sah er immer noch so gut aus, daß es ihr schier den Atem nahm. »Er ist glücklich dran, Sie zum Freund zu haben, Kapitän Herendon.«
Irgendwie brachte Jack es nicht über sich zu lächeln. »Noch glücklicher ist er, daß Sie seine Schwester sind.«
»Er und Jeremiah, sie würden beide dasselbe für mich tun.« Sie stieß die Tür auf, und der Wind ließ die Enden ihres Schales um ihre Schultern flattern. »Darin sind wir alle drei gleich. Ich denke, die meisten Geschwister sind so.«
Jack antwortete nicht. Oh, er wußte nur zu genau, wie stark die Bande zwischen Brüdern und Schwestern sein konnten. Aber er würde sich hüten, mit irgend jemandem darüber zu sprechen.
Und schon gar nicht mit Désirée Sparhawk.
Die Sonne war schon längst hinter Prospect Hill verschwunden, als Désirée müde die Stufen zu ihrem Haus hinaufstieg. Sie hatte den Tag damit verbracht, erst Zeugen für Obadiahs Verteidigung zu sammeln und dann die Geschäftsangelegenheiten ihrer Familie zu ordnen, bis sie sicher sein konnte, daß während der Zeit ihrer Abwesenheit alles ordnungsgemäß seinen Lauf nahm. Jetzt hatte sie nur noch ihre Sachen zu packen, und sie schüttelte vor Erschöpfung den Kopf beim Gedanken an die letzte Anstrengung, die noch vor ihr lag. Nie zuvor hatte sie soviel in einen einzigen Tag hineingepackt.
Aber trotz allem hatte sie sich in Gedanken mit Kapitän Herendon beschäftigt, und sie konnte sich lebhaft an jede Sekunde erinnern, die sie heute morgen mit ihm verbracht hatte. Sie versuchte sich selbst immer und immer wieder zu ermahnen, daß Jack Herendon Engländer war, daß er anmaßend und arrogant war und besser aussah, als ihm guttat. Aber dann fiel ihr ein, wie sehr er Obadiah mochte, oder wie er sie angelächelt hatte, oder wie der sehnsüchtige Ausdruck in seinen Augen erschienen war, wenn er dachte, sie würde es nicht bemerken. Die schlichte, traurige Wahrheit war, daß sie diesen Mann mochte. Auch wenn es Ärger geben würde, sobald Jeremiah davon erfuhr, gefiel ihr, daß er sie gegen die Unverschämtheiten Parks und der anderen Werftarbeiter verteidigt hatte.
Es war erst drei Tage her, seit sie ihn kennengelernt hatte, und dreimal hatten sie sich bisher gesprochen. Vielleicht lag es daran, daß er ein Freund Obadiahs war, daß sie das Gefühl hatte, ihn schon viel länger zu kennen. Vielleicht aber wollte sie sich nur einreden, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, weil sie einfach dazu gezwungen war, ihm zu trauen, wenn sie ihn nach England begleiten wollte, um dort ihren Bruder zu retten.
Doch wie sehr zweifelte sie immer noch an dieser Entscheidung! Wann immer sie mit ihm zusammen war, empfand sie die Atmosphäre gespannt. Sie konnte nicht gegen das Gefühl ankämpfen, sie hatte dergleichen noch nie bei einem anderen Mann empfunden, ganz sicher nicht bei Robert. Wenn sie Kapitän Herendon dann auf See jeden Tag sah - fern von ihrer Heimat und zugleich eine Fremde in seiner ihm vertrauten Umgebung -, würde die Spannung zwischen ihnen durch die Gleichförmigkeit des Alltags schwächer werden, oder würde sie ansteigen bis zu Unerträglichkeit?
Ihre Hand lag schon auf der Klinke, als sie sich noch einmal umdrehte und den Blick über die Dächer der Häuser schweifen ließ. Sie schaute den Hügel hinunter zu den Werften, wo die Masten und Segel der Schiffe den Fluß entlang eine unregelmäßige schwarze Silhouette bildeten. Morgen würde sie an Bord eines dieser Schiffe gehen und die einsamste Reise ihres Lebens antreten. Aus tiefstem Herzen betete sie, daß sie es nicht
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