Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte
militärgeschichtliche Studie, welche die technischen und taktischen Details der Seekriegsführung erschöpfend behandelt. Der begrenzte Raum zwingt zudem zur Fokussierung auf Europa, ohne jedoch die weltweiten Implikationen der europäischen Seekriegsgeschichte außer Acht zu lassen, wie etwa in dem Krieg zwischen Russland und Japan von 1905. Hingegen die bedeutenden und folgenreichen Gefechte zur See, die im Fernen Osten Chinesen, Koreaner und Japaner seit dem Mittelalter führten, nachzuzeichnen und ihre Hintergründe zu erläutern, hätte den Rahmen dieses Buches gesprengt. Selbst innerhalb der europäischen Seekriegsgeschichte haben wir uns auf das Wesentliche konzentriert. So kommen etwa die Entwicklungen der Kriegsflotten im skandinavisch-baltischen Raum nur am Rande zur Sprache, und auch die französische Flotte im 18. Jahrhundert hätte eineausführlichere Würdigung verdient. Trotz oder besser: gerade wegen dieser Beschränkungen hoffen wir, dass wesentliche Zusammenhänge zwischen Seekriegsführung und gesellschaftlichen Entwicklungen von der Antike bis in die Moderne deutlich werden.
Die «segelnde Fichte» und der Beginn des Seekriegs
Grundlegende Zusammenhänge zwischen Krieg und Gesellschaft haben bereits antike Autoren gesehen. Bemerkenswert ist, dass sie beim Nachsinnen über die Beschaffenheit eines längst vergangenen Goldenen Zeitalters, einer
felix prior aetas
, gerade das
Fehlen
der Schifffahrt in den Kanon der paradiesischen Merkmale aufgenommen haben. Vergil, Tibull, Ovid und noch Boethius im 6. nachchristlichen Jahrhundert hielten die Seefahrt für eine dem allgemeinen Glück abträgliche Tätigkeit. Auch Giovanni de Marignolli, ein Franziskanermönch aus Florenz, der im 14. Jahrhundert über Jahre die damals bekannte Welt bereist hatte und bis China gekommen war, äußerte prinzipielle Zweifel an der Seefahrt. Mit Schiffen das Meer zu versuchen, war ihnen allen ein Frevel, wie ohnehin über Jahrhunderte hinweg die raue See als grausamer Feind galt und nicht als Quell einer sinnenfrohen Meereslust: So heißt es in Vergils vierter Ekloge der
Bucolica
, über die Zeit, da der Weltenretter, endlich erwachsen, in den Lauf der Geschehnisse eingreift:
Dann, wenn dich zum Mann gestählt dein gekräftigtes Alter,
läßt auch der Schiffer freiwillig das Meer, die segelnde Fichte
tauscht nicht Waren mehr aus: überall trägt alles die Erde.[ 4 ]
Woher rührte diese Skepsis gegenüber dem Händler, zumal dem
seefahrenden
Händler, wie sie übrigens auch für viele außereuropäische Kulturen charakteristisch ist? Ein «Goldenes Zeitalter» allgemeinen, friedvollen Glücks erschien antiken und mittelalterlichen Schriftstellern deswegen frei von Handel und Seefahrt, weil der Händler seine Existenz nicht aus dem Ertrag seiner oder seiner Untertanen (Feld-)Arbeit fristete, wie dies der Bauer und der Adlige tun, sondern die von anderen hergestelltenWaren nutzt, um aus dem Handel mit ihnen Profit zu ziehen. Er bleibt immer darauf angewiesen, dass andere etwas produzieren, um diese Produkte dann unter günstigen Umständen zu kaufen und zu verkaufen.[ 5 ] Dadurch haftet seinem Tun etwas Suspektes an. Es ist insofern kein Zufall, dass in der antiken Mythologie der Gott der Händler, Hermes/Merkur, zugleich der Gott der Diebe ist. Und gerade zur See, auf dem den Menschen fremden und deswegen oftmals feindlichen Element, nahm der Handel von jeher besonders abenteuerliche Formen an, war er doch in aller Regel vom Seeraub nur schwer zu unterscheiden.
Freilich brachte der Seehandel nicht nur Unruhe und Zwist in die Gesellschaft, sondern auch Wachstum und Dynamik. Der griechische Geschichtsschreiber Thukydides konstatierte am Ende des 5. vorchristlichen Jahrhunderts in der Einleitung zu seiner
Geschichte des Peloponnesischen Krieges
über die Anfänge der griechischen Seefahrt: «Und als dann die Hellenen Seefahrer wurden, legte [Korinth] sich die Schiffe zu und unterdrückte den Seeraub; und indem es einen Markt bot […] wurde es durch das zuströmende Geld eine mächtige Stadt. Auch die Ionier hatten später eine starke Flotte, zur Zeit des Kyros, des ersten Perserkönigs, und konnten […] eine Zeit lang ihr Meer behaupten.» Flottenbau, ökonomisches Wachstum und politischer Machtzuwachs gingen also, dies ist Thukydides’ frühe, fundamentale Erkenntnis, Hand in Hand: «So stand es mit den hellenischen Flotten der Vorzeit und den späteren; und doch gelangten die Städte, die sich eine hielten, zu
Weitere Kostenlose Bücher