Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte
erheblicher Macht, durch den Eingang von Geld und die Herrschaft über andere: Sie fuhren nämlich die Inseln an und unterwarfen sie, namentlich wenn ihr eigenes Gebiet nicht genügte. Einen Landkrieg, durch den ein Staat zur Macht gelangt wäre, gab es nicht.»[ 6 ]
«Einen Landkrieg, durch den ein Staat zur Macht gelangt wäre, gab es nicht» – es kann nicht schaden, diesen Gedanken einen Moment nachklingen zu lassen, denn Thukydides antizipiert mit ihm die Kernthese von Mahans seetheoretischer Grundlagenschrift um rund zweitausendfünfhundert Jahre. Doch führte der Unterhalt einer Flotte in der Antike nicht nur zu Macht und Reichtum, sondern bemerkenswerterweise zuweilen auch zur Demokratie. Flotten bedurften nämlich in Zeiten der geruderten Kriegsschiffe einer vielköpfigen Besatzung, deren militärischer Einsatz rasch zu Forderungen nach politischer Teilhabe führte: Wer sein Lebenauf den Ruderbänken der Trieren für das Vaterland aufs Spiel setzte – und dies waren etwa im antiken Athen zwar arme, aber freie Bürger –, der konnte mit gutem Grund und schlagkräftigen Argumenten auch Anspruch darauf erheben, an den Entscheidungen über Krieg und Frieden teilzuhaben. Die Seekriegsführung als Wegbereiter der Demokratie lässt sich in verschiedenen Gesellschaften und unterschiedlichen Epochen nachweisen, zum ersten Mal im «klassischen» Athen des 5. vorchristlichen Jahrhunderts. Darüber hinaus setzte der Bau, Unterhalt und Einsatz großer Kriegsflotten Formen staatlicher Organisiertheit voraus, die den Flottenbau immer wieder zu einem wesentlichen Faktor bei der Entwicklung staatlicher Strukturen machte. So etwa im Falle des säkularen Ringens zwischen der Handelsmacht Karthago und der Römischen Republik um die Vorherrschaft im Mittelmeer, eines Kampfes, der die Kontrahenten zu einer bisher ungekannten Anspannung aller Ressourcen im Dienste der Seekriegsführung zwang. Mit Roms Seeherrschaft über das Mittelmeer endete dann das Zeitalter großer antiker Seeschlachten, deren letzte sich bezeichnenderweise im Rahmen des römischen Bürgerkriegs 31 v. Chr. bei Actium abspielte, und zwar mit welthistorischen Folgen: Führte doch der Triumph Octavians über seine Gegenspieler Antonius und Kleopatra zur Etablierung des Prinzipats an Stelle der altehrwürdigen Römischen Republik.
Nach dem Untergang der antiken Gesellschaften endete vorläufig die Zeit einer staatlich organisierten Seekriegsführung in Europa, mit einer Ausnahme: dem Oströmischen Reich. In dessen prachtvoller Kapitale Konstantinopel verfügten die Imperatoren weiterhin über die Ressourcen, um eine Kriegsflotte zu unterhalten. Und die brauchten sie auch, seit im 7. Jahrhundert mit den Arabern ein neuer weltgeschichtlicher Akteur auf den Plan trat, dessen Expansionsbestrebungen sich schon bald auch auf die Herrschaft zur See erstreckten. Bei den Belagerungen Konstantinopels am Ende des 7. und zu Beginn des 8. Jahrhunderts dürfte es allein der byzantinischen Kriegsflotte und der von ihr erstmals eingesetzten Geheimwaffe, dem Griechischen Feuer, zu verdanken gewesen sein, dass das Oströmische Reich dem Ansturm der Araber nicht erlag. Auch in der Folgezeit richteten die Kaiser am Bosporus ihr Augenmerk auf die Wahrung der Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer. Davon abgesehen war Europa im Früh- und Hochmittelalter jedoch eine Welt ohne Kriegsflotten. Natürlichgab es Schiffahrt, auch und gerade solche kriegerischen Charakters, wie etwa die Plünderungsfahrten der Wikinger erkennen lassen. Doch fehlten den gemeinsam auf Beutezüge fahrenden Wikingerschiffen eben jene Elemente hierarchischer Leitung, administrativer Organisation und dauerhafter Einrichtung, die für die Definition des Begriffs «Flotte» konstitutiv sind. Die Handlungsperspektiven und Handlungsspielräume der europäischen Herrscher des Früh- und Hochmittelalters waren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu beschränkt, um größere Flottenverbände zu gemeinsamem taktischen Einsatz auszubilden und permanent zu unterhalten. Erst mit dem Aufschwung der Städte und des (Fern-)Handels vom 11. bis zum 13. Jahrhundert kam eine Dynamik in Gang, die durch die Kreuzzüge verstärkt zu ersten Ansätzen führte, erneut Kriegsflotten zu unterhalten.
Der prominenteste dieser Ansätze erfolgte unter der Herrschaft Kaiser Friedrichs II., dessen «Modernität» ihm schon bei den Zeitgenossen das Attribut des
stupor mundi
, eines gefürchteten «Staunens der Welt», eingetragen hat.
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