Große und kleine Welt (German Edition)
groessten Meister waren Werke seiner Hand.
"Mein Gott! Was fehlt Ihnen? Wie bleich Sie geworden sind! Schnell ein
Glas Wasser, Kind!" rief Mutter Vervelle. Der Maler zog Papa Vervelle
am Rockknopf in einen Winkel der Galerie, unter dem Vorwand, einen
Murillo betrachten zu wollen; die Bilder der Spanier waren damals in
Mode. "Sagen Sie, haben Sie diese Gemaelde bei Elias Magus erstanden?"
—"Ja, lauter Originale!"
"Unter uns gesagt, zu welchem Preise hat er Ihnen diejenigen verkauft, die ich Ihnen jetzt bezeichnen werde?" Sie machten nebeneinander einen Rundgang durch den Raum. Die Gaeste waren entzueckt davon, mit welchem Ernst der Kuenstler sich an der Seite seines Gastgebers dem Studium der Meisterwerke hingab. "Dreitausend Francs!" sagte Vervelle mit fluesternder Stimme, als sie vor dem letzten Bilde angelangt waren, "aber ich gab ihm viertausend dafuer."—"Einen Tizian fuer viertausend Francs?" sagte der Maler mit erhobener Stimme; "aber das waere ja geschenkt!"—"Wie ich Ihnen sagte. Ich besitze hier fuer zusammen hunderttausend Taler Bilder!" rief Vervelle.
"Alle diese Bilder habe ich gemalt," sagte Pierre Grassou ihm ins Ohr, "und ich habe fuer alle zusammen nicht mehr als zehntausend Francs bekommen." "Beweisen Sie mir das," sagte der Flaschenhaendler, "und ich werde die Mitgift meiner Tochter verdoppeln, denn dann sind Sie ja Rubens, Rembrandt, Terborch, Tizian in einer Person!"
"Und unser Magus ist ein hoechst talentierter Bilderhaendler!" meinte der Maler, der nun endlich begriff, warum seine Bilder im Laden des Elias ein so merkwuerdiges Aussehen bekamen und weshalb der Alte immer so sonderbare Motive von ihm verlangt hatte.
Wollte man nun annehmen, dass Herr von Fougeres—auf diesen Namen bestand seine Familie—bei seinen Bewunderern an Hochachtung eingebuesst haette, so irrte man darin. Sein Ansehen stieg ueber alles Mass. Die Portraets der Familie Vervelle fuehrte der Glueckliche aber nun unentgeltlich aus und brachte sie seinem Schwiegervater, seiner Schwiegermutter und seiner jungen Gattin als Geschenk dar…. Pierre Grassou, der heute bei keiner Ausstellung fehlt, gilt in der Welt der Kleinbuerger als ein guter Portraetmaler. Er hat ein Einkommen von zwoelfhundert Francs im Jahre und bekleckst fuer fuenfhundert Francs Leinwand. Seine Frau hat eine jaehrliche Rente von sechstausend Francs als Mitgift bekommen und die Eheleute wohnen im Hause der Schwieger- eltern. Die Vervelles und die Grassous verstehen sich ganz ausgezeichnet miteinander; sie halten sich eine gemeinsame Equipage und sind die gluecklichsten Menschen von der Welt. Wo Pierre Grassou in buergerlicher Sphaere eine Gesellschaft besucht, wird er als der groesste Kuenstler seiner Zeit gefeiert. Von der Barriere du Trone bis zur Rue du Temple wird kein Familienbild in Auftrag gegeben, das nicht dieser grosse Maler ausfuehrt und sich mit mindestens fuenfhundert Francs bezahlen laesst. Fragt man die Buerger, warum sie gerade ihm den Vorzug geben, so antworten sie: "Man mag sagen, was man will, er ist ein Mann, der im Jahre seine zwanzig- tausend Francs zum Notar bringt!"
Da Grassou sich bei den Aufstaenden am 12 Mai trefflich gehalten hatte, wurde er zum Offizier der Ehrenlegion ernannt. Er ist Bataillonschef der Nationalgarde. Es blieb nicht aus, dass das Museum von Versailles einem so ausgezeichneten Staatsbuerger ein Schlachtengemaelde in Auftrag gab. Fougeres trug seine Freude vor ganz Paris zur Schau und erzaehlte seinen ehemaligen Kameraden, die ihm begegneten, mit gleichgueltiger Miene: "Der Koenig hat ein Schlachtengemaelde bei mir bestellt."
Frau von Fougeres, die ihren Gatten mit zwei Kindern beschenkt hat, betet ihn an. Ein ausgezeichneter Gatte und guter Vater ist dieser Maler, aber er kann nicht den schmerzlichen Gedanken verwinden, dass die Kuenstler sich ueber ihn lustig machen, sein Name in den Ateliers nur als abschreckendes Beispiel genannt wird, die Presse sich nicht mit seinen Werken beschaeftigt. Doch er arbeitet unentwegt weiter und hegt die Hoffnung, dass man ihn in die Akademie aufnehmen werde. Und, ein Akt herzerfreuender Rache, den beruehmten Malern kauft er, wenn sie in Geldverlegenheit sind, ihre Bilder ab. Auf diese Weise tauscht er die elenden Schinken der Galerie in Ville d'Avray aus gegen wirkliche Meisterwerke, die nicht von ihm stammen.
DIE BOeRSE
Es gibt eine koestliche Stunde fuer Herzen, die sich leicht oeffnen, fuer frische Herzen, die stets jung und zaertlich bleiben, und diese Stunde, die
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