Große und kleine Welt (German Edition)
sogleich mit drei Offizieren hinaus, da er irgend eine Falle befuerchtete, und die Unbekannte konnte ihrem Geliebten nur noch zurufen: "Nimm Dich in acht!" und stuerzte tot nieder. Es war die Kammerfrau, die, als sie sich vergiftet fuehlte, noch zur rechten Zeit anzukommen gehofft hatte, um den Chirurg zu warnen.
"Teufel, Teufel!" rief der Hauptmann Falcon aus, "das heisst lieben. Aber auch nur eine Spanierin kann noch zu ihrem Geliebten laufen, wenn ihr der Tod schon auf der Zunge sitzt."
Der Chirurg versank in tiefes Nachdenken. Um die unheilvollen Vorgefuehle, die ihn quaelten, zu ersticken, setzte er sich wieder an den Tisch und trank unmaessig, wie auch seine Gaeste taten. Als alle halb berauscht waren, begaben sie sich fruehzeitig zur Ruhe. Mitten in der Nacht wurde der Chirurg durch ein schrillendes Geraeusch erweckt, das von den Ringen seiner Bettvorhaenge herruehrte, die heftig an den Staeben zurueckgerissen wurden. Er richtete sich von seinem Lager auf und war eine Beute jenes mechanischen Zitterns, das uns bei einem solchen Erwachen zu ergreifen pflegt. Da sah er vor sich einen Spanier, der in einen Mantel gehuellt war und ihm denselben Flammenblick zuwarf, der am Abend des Balles durch das Orangengebuesch geleuchtet hatte. Der Chirurg schrie auf: "Zu Hilfe, zu Hilfe! Zu mir, meine Freunde!" Der Spanier antwortete auf dieses Angstgeschrei nur mit einem bittern Laecheln.
"Das Opium waechst fuer jedermann!" versetzte er dann. Als er diese Worte gesagt hatte, zeigte er auf die drei in festem Schlaf liegenden Freunde und zog dann unter seinem Mantel einen frisch abgeschnittenen Frauenarm hervor, den er mit einer lebhaften Bewegung dem Chirurg zeigte, um ihn auf ein Mal aufmerksam zu machen, welches jenem aehnlich war, das dieser so unklugerweise beschrieben hatte.
"Ist es derselbe?" fragte er.
Beim Scheine einer Laterne, die neben das Bett gestellt war, erkannte der Chirurg den Arm wieder und antwortete durch sein Staunen. Ohne weitere Eroerterungen senkte der Gatte der Unbekannten seinen Dolch in das Herz des Chirurgen."—
"Ihre Erzaehlung ist furchtbar schwer zu glauben," sagte ein Zuhoerer zu dem Erzaehler. "Koennen Sie mir wohl erklaeren, wer sie Ihnen erzaehlt hat, ob der Tote oder der Spanier?"
"Mein Herr," antwortete der Erzaehler, "ich habe den armen Mann gepflegt, da er erst fuenf Tage spaeter unter schrecklichen Leiden starb. Zur Zeit des Feldzuges, der unternommen wurde, um Ferdinand VII. wieder einzusetzen, wurde ich zu einem Posten in Spanien ernannt, kam aber gluecklicherweise nicht weiter, als nach Tours, denn man machte mir Hoffnung auf die Einnehmerstelle von Sancerre. Am Abend vor meiner Abreise war ich auf einem Ball bei Frau von Listomere, wo sich auch mehrere angesehene Spanier eingefunden hatten. Als ich den Spieltisch verliess, bemerkte ich einen spanischen Grande, einen Afrancesado im Exil, der seit fuenfzehn Tagen in der Touraine angekommen war. Erst sehr spaet war er zu diesem Ball gekommen. Er erschien zum ersten Male vor Leuten und besuchte die Salons in Begleitung seiner Frau, deren Arm durchaus unbeweglich war. Wir wichen schweigend auseinander, um dieses Paar hindurchgehen zu lassen, das wir nicht ohne tiefe Bewegung sahen. Denkt Euch, ein lebendiges Gemaelde von Murillo. Unter gewoelbten und schwarzen Brauen zeigte der Mann ein starres Flammenauge; sein Antlitz war eingefallen, und sein kahler Scheitel zeigte gluehende Tinten; sein Koerper war so leidend, dass man ihn nur mit Beben ansehen konnte. Und diese Frau! Man kann sie sich gar nicht vorstellen, ohne sie gesehen zu haben. Sie hatte jenen bewunderungswuerdigen Wuchs, fuer den die spanische Sprache ein besonderes Wort geschaffen hat; obgleich bleich, war sie noch immer schoen; ihre Gesichtsfarbe war blendend, infolge eines fuer eine Spanierin sonst unerhoerten Privilegiums; aber aus ihren Blicken strahlte die ganze Sonne Spaniens, und sie trafen den, der sie ansah, wie geschmolzenes Blei.
"Meine Dame," fragte ich die Dame gegen Ende der Soiree, "durch welchen
Zufall haben Sie Ihren Arm verloren?"
"Im Unabhaengigkeitskriege," antwortete sie mir.
NACHWORT
Die Holzschnitte von Honore Daumier und Paul Gavarni, welche die vorliegende Ausgabe schmuecken, sind nicht urspruenglich zu diesen Novellen Balzacs geschaffen worden. Sie wurden vom Herausgeber aus dem reichen Werk der beiden bedeutendsten Graphiker ihrer Zeit ausgewaehlt, weil sie sich einerseits zwanglos dem Text anpassen und ihn trefflich illustrieren,
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