Große und kleine Welt (German Edition)
weitere Wege ersparte und somit einen Verlust der Zeit, die fuer ihn jetzt kostbarer geworden war als je. Niemand in der Welt wuerde mehr Teilnahme eingefloesst haben, als Hippolyt Schinner, wenn er sich dazu haette verstehen koennen, sich zu erkennen zu geben; allein er offenbarte nicht gern die Geheimnisse seines Lebens.
Er war der Abgott einer armen Mutter, die sich selbst die haertesten Entbehrungen aufgelegt hatte, um ihn erziehen zu koennen. Jungfer Schinner, die Tochter eines Bauern im Elsass, war nie verheiratet gewesen. Ihr empfindsames Herz war grausam geknickt durch einen reichen Mann, der in der Liebe nicht sehr zartfuehlend war. Der Tag, an dem sie als junges Maedchen und in dem ganzen Glanze ihrer Schoenheit auf Kosten ihres Herzens und ihrer schoensten Illusion jene Entzauberung erlitt, die uns so langsam erreicht und doch auch so schnell, da wir stets erst so spaet als moeglich an das Boese glauben wollen, wie uns das Boese immer noch zu schnell zu kommen scheint, jener Tag war demnach fuer sie ein ganzes Jahrhundert des Nachdenkens, sowie zugleich der Tag der frommen Gedanken und der Entsagung. Sie verschmaehte die Almosen dessen, der sie betrogen hatte, entsagte der Welt und machte sich einen Ruhm aus ihrem Fehltritt. Sie widmete sich ganz und gar nur der muetterlichen Liebe und verlangte von dieser, waehrend sie allen weltlichen Genuessen entsagte, die geheimen Wonnen eines ruhigen und ungekannten Lebens. Sie lebte von ihrer Arbeit und haeufte sich einen Schatz auf in ihrem Sohne. Ein Tag, eine Stunde vergalt ihr daher spaeter die langen und langsamen Opfer ihrer Armut. Bei der letzten Ausstellung hatte ihr Sohn, Hippolyt Schinner, das Kreuz der Ehrenlegion erhalten, und die Zeitungen, die einmuetig das unbekannte Talent feierten, ergingen sich noch immer in aufrichtigen Lobspruechen. Die Kuenstler selbst erkannten in Schinner einen Meister, und seine Gemaelde wurden mit Gold aufgewogen. In seinem fuenfundzwanzigsten Jahre hatte Hippolyt Schinner, dem seine Mutter eine weibliche Seele, eine grosse Zartheit der Organe und unendliche Reichtuemer des Herzens vererbt hatte, besser denn je seine Stellung in der Welt erkannt. Er wollte seiner Mutter alle die Freuden erstatten, deren sie so lange Zeit entbehrte, lebte daher nur fuer sie und hoffte, durch seinen Ruhm und seinen Reichtum auch sie gluecklich, reich und angesehen zu machen.
Schinner hatte seine Freunde unter den achtenswertesten und ausgezeichnetsten Maennern gewaehlt; er war peinlich in der Wahl seiner Bekannten und wollte durch diese seine Stellung noch mehr erhoehen, die ohnedies schon durch sein Talent eine hohe war. Die hartnaeckige Arbeit, der er sich von seiner Jugend an weihte, hatte ihm den schoenen Glauben erhalten, der die ersten Tage des Lebens schmueckt, indem sie ihn zwang, in der Einsamkeit zu bleiben, bei dieser Mutter der grossen Gedanken. Sein reifender Geist verkannte das tausendfaeltige Schamgefuehl nicht, das aus einem junge Manne ein besonderes Wesen macht, dessen Herz reich ist an Glueckseligkeiten, an Poesien und jungfraeulichen Hoffnungen, ein Wesen, das schwach erscheint in den Augen stumpfsinniger Menschen, aber tief ist, weil es einfach ist. Er besass jenes sanfte und hoefliche Benehmen, das die Herzen gewinnt und selbst die bezaubert, von denen es nicht begriffen wird. Er war schoen gewachsen und seine Stimme hatte einen silberreinen Ton. Sah man ihn, so fuehlte man sich zu ihm hingezogen durch eine jener moralischen Anziehungskraefte, die unsere allwissenden Psychologen gluecklicherweise noch nicht zu erklaeren verstehen; sie haetten in derselben vielleicht eine Erscheinung des Galvanismus erkannt oder das Spiel irgend eines Fluidums; denn wir moechten ja jetzt selbst unsere Gefuehle durch elektrische oder magnetische Stroemungen erklaeren. Diese Einzelheiten machen vielleicht den Maennern von kuehnem Charakter mit wohlbestellten Halsbinden begreiflich, warum Hippolyt Schinner nicht eine Frage inbezug auf die beiden Damen, deren gutes Herz er kennen gelernt hatte, an die Tuersteherin richtete, waehrend der Mann derselben nach dem Ende der Rue de la Madelaine geeilt war, um einen Wagen zu holen. Obgleich er nur mit Ja und Nein auf die bei einer solchen Gelegenheit natuerlichen Fragen antwortete, die die Tuersteherin im Hinblick auf seinen Unfall und auf die Hilfeleistung der Mieterinnen im vierten Stock an ihn richtete, so konnte er dieselbe doch nicht verhindern, dem Instinkt der Tuersteher zu folgen, und sie
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