Gruber Geht
wirklich noch was lernen beim Sex. Das zweite Mal habe ich bei ihm im Hotel übernachtet, und das war eigentlich in Ordnung. Da wollte er, dass ich bleibe, er wollte sogar, dass ich in seinem Arm einschlafe. Aber in der Früh war er wieder so irrsinnig unangenehm, brüsk, abweisend und direkt gemein, sodass ich dann nicht mehr mit ihm gefrühstückt habe. Wollte er wahrscheinlich auch erreichen. Und deswegen hab ich ihm danach eine wütende Mail geschickt. Darauf hat er nicht einmal geantwortet, der kann mich jetzt mal, aber echt.
Der Tag war Mist. Tonnenweise aus dem Fenster geschmissene Energie. Völlig für den Hugo. Gruber weiß schon, dass aus dem Geschäft nichts werden wird, so viel hat Gruber schon gelernt, im Urin hat er es, dass aus diesem Deal hier nichts wird. Trotzdem muss er mit den Leuten, die ihm morgen vor dem Abflug oder übermorgen per Mail mitteilen werden, dass aus der Sache leider nichts wird, heute noch essen gehen. Und so tun, als gäbe es das Geschäft noch, so tun, als glaube er, das Geschäft würde stattfinden, wäre noch zu retten, als wären nur noch ein paar Details zu klären. Es ist eine einzige beschissene Selbsterniedrigung. Diese brechlangweiligen Pisser.
Gruber sitzt in Unterhosen auf dem Bett im Hotel, sein Anzug hängt an einem Bügel. Er nimmt den Brief aus seinem Mantel und steckt ihn ins Zippfach seiner Tasche, trinkt einen Wodka-Tonic, den er sich von der Bar hat bringen lassen, checkt seine E-Mails, linkt sich ins Facebook ein, checkt sein Profil und was in der Zwischenzeit passiert ist. Nur Unsinn, wie meistens, er weiß gar nicht, was er in diesem blöden Facebook überhaupt macht: Phil Grill gibt bekannt, dass er für das Amt des U S -Präsidenten zu kandidieren beabsichtigt, der Stallinger hat in der Früh irrtümlich die Unterhose seines achtjährigen Sohnes angezogen und kann jetzt im Meeting nur wimmern, Philipp hat den «Welcher-achtziger-Jahre-Song-bist-du»-Test gemacht und ist mit dem Ergebnis, Whams «Wake me up before you go go», extrem unzufrieden, Jenny hat ihn für 650 Dollar als pet gekauft und in «fucking asshole» umbenannt, es gibt eine vollkommen sinnfreie Debatte über Honzos Haarschnitt, das Fräulein Blauensteiner wünscht sich, dass es endlich Frühling werde und hat schon mal ein paar Fotos von sich mit sehr wenig Textil hochgeladen, der Bachmeier fragt, ob Gruber die neue Dylan schon gehört hat. Fünf seiner Freunde haben ihr Profil-Bild geändert. Er hat acht neue Freundschaftsanträge, sechs von den Leuten sind ihm unbekannt. Er lehnt alle Männer ab und akzeptiert alle Frauen, man nimmt, was man kriegen kann, in diesen mageren Zeiten. Gruber schreibt «sitzt nackt in Paris und trinkt Champagner» in die Statuszeile und versucht, Jenny anzuchatten, aber sie ist schon wieder offline. Ein paar seiner Freunde, darunter Philipp, sind online, aber Gruber hat keine Lust, mit einem von ihnen zu quatschen, worüber auch, was hat man sich schon zu sagen. Gruber loggt sich wieder aus, masturbiert, während er sich Denise vorstellt und dann Jenny und diese Sache, die sie mit ihm gemacht hat, dann geht er duschen. Er beschließt, mit der Tram zur Kronenhalle zu fahren, ein Taxi kriegt man in diesem Drecknest sowieso nicht.
Er steigt eine Station früher aus der Straßenbahn und läuft zu Fuß über die Brücke. Nur, falls die Herren Stinkfad und Sackblöd bei seiner Ankunft gerade aus dem Taxi steigen, dann könnte er nämlich sagen, er hat noch einen kleinen Spaziergang vom Hotel her gemacht. Er ist nämlich ein Naturbursch, voll im Saft, damit das klar ist, mit Spitzenkondition, er geht oft zwischendurch einmal ein paar Kilometer, macht dich locker, lüftet dich schön aus, speziell an einem so klaren Märzabend ... Das Geschäft wird es nicht retten, aber die Wichsköpfe fühlen sich vielleicht noch beschissener als sie sich hoffentlich eh schon fühlen.
«Ja.»
«Deine Mutter!»
«Ja, Mama. Ich weiß, Mama. Morgen.»
Irgendwas stimmt nicht. Gruber kann sein rechtes Auge spüren. Und es geht nicht auf. Das Auge pocht. Das Auge pocht irre. Nein, eigentlich pocht der ganze Kopf.
«Guten Morgen, mein Schatz. Wo bist du?»
«In Mailand, Mutter.»
Gruber spürt auch seine Unterlippe. Sie spannt und schmerzt und fühlt sich gleichzeitig taub an. Irgendetwas stimmt absolut nicht.
«Wie geht es dir?»
«Gut, Mutter.» Gruber fühlt sich insgesamt taub an, schwammförmig. Spongejohn.
«Hast du den Anwalt angerufen? Das Grundstück.»
Das
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