Grün war die Hoffnung
reichte es langsam. »Du«, sagte er.
Sein Vater knurrte. »Ja, ich«, sagte er.
Die elf Jahre hatten ihn verändert. Der Alte wirkte jetzt sogar noch größer, sein Kopf war angeschwollen wie etwas, das man auf den Simsen von Bauwerken eingemeißelt findet oder als Wächter über einem alten Grab. Und sein Haar war gewachsen, die fettigen dunklen Strähnen schlugen ihm ins Gesicht und fielen ihm in den Nacken. Der Anzug – es schien derselbe zu sein, den er an Walters elftem Geburtstag getragen hatte – hing in Fetzen herab, zerrissen von all den Jahren. Und da war noch etwas. Eine Krücke. Wie ein Hexenbesen von irgendeinem Baum am Straßenrand abgehackt, gesprenkelt mit Rindenresten, stützte sie ihn, als wäre er irgendwo angeknackst. Walter blickte an ihm herab, erwartete eine gichtige Zehe oder einen mit Lumpen umwickelten Fuß, sah aber nichts in dem Schattensee, der die untere Körperhälfte seines Vaters wie ein Leichentuch umhüllte.
»Aber Truman«, sagte Walters Großmutter, »ich wollte doch dem Jungen nur erklären, was ich ihm mein ganzes Leben lang gesagt habe ... Ich wollte ihm erklären, daß es nicht deine Schuld war, daß es an den Umständen lag und daran, was du in deinem Herzen geglaubt hast. Der Herrgott weiß –«
»Halt den Mund, Mama. Ich sage dir, ich brauche keine Erklärungen. Ich würde es morgen wieder tun.«
In diesem Augenblick bemerkte Walter, daß sein Vater nicht allein war. Hinter ihm standen noch andere – eine ganze Zuhörerschar. Er konnte sie schniefen und grunzen hören, und jetzt – auf einmal – konnte er sie auch sehen. Penner. Es mußten mindestens dreißig sein, zerlumpt, mit roten Augen, sabbernd und stinkend. O ja: jetzt konnte er sie auch riechen, den Gestank von Viehhöfen, Fußpilz, pissedurchtränkter Unterwäsche. »Amerika den Amerikanern!« rief Walters Vater aus, und die Versammlung der Phantome nahm es mit Schnattern und Keuchen auf, das schließlich zu einem tollwütigen Gemurmel in der Finsternis verebbte.
»Du bist ja betrunken!« sagte Walter und wußte nicht, warum er es gesagt hatte. Vielleicht war es eine Erinnerung aus seinen Kindesjahren, nachdem seine Mutter gestorben und bevor sein Vater verschwunden war, an die Sommer bei seinen Großeltern, bei denen auch sein Vater für mehrere Wochen gewohnt hatte. Ob der Alte nun auf der Couch schlief, seinem eigenen Vater mit den Netzen half, Walter zum Krebsefangen zur Brücke über den Acquasinnick oder zum Baseballspiel auf die Polo Grounds mitnahm – immer hatte er nach Alkohol gestunken. Vielleicht war das auch heute abend im »Elbow« der Auslöser gewesen: der Geruch nach Alkohol, der Schlüssel zu seinem Vater, ebenso wie Kartoffelpuffer und Leberwurst die Schlüssel zu seiner traurig dreinblickenden Mutter und zu der abergläubischen Frau mit den kräftigen Armen waren, die sich bemüht hatte, die Leere auszufüllen, die seine Mutter zurückgelassen hatte.
»Na und?« sagte sein Vater.
In diesem Moment trat ein kleiner Mann mit dem Gesicht eines Wasserspeiers aus dem Schatten. Er trug nicht mehr den Spitzhut und die Pluderhosen – nein, er hatte ein blaues Arbeitshemd an und ausgebeulte Anzughosen mit Taschen in der Seitennaht –, aber Walter erkannte ihn dennoch. »Nicht betrunkener als du«, sagte der Mann.
Walter ignorierte ihn. »Du hast mich im Stich gelassen«, sagte er, wieder zu seinem Vater gewandt.
»Da hat der Junge recht, Truman«, krächzte seine Großmutter mit einer Stimme wie spritzendes Fett in der Pfanne.
Der alte Mann schien in sich zusammenzusinken, die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. »Glaubst du denn, es war leicht für mich?« fragte er. »Ich meine, mit diesen Pennern zu leben und so?« Er machte eine kurze Pause, als wollte er sich besinnen. »Weißt du, was wir essen, Walter? Scheiße, das essen wir. Eine Handvoll von diesem verdorbenen Weizen hier, vielleicht mal einen Graskarpfen, von der Reling aus geangelt, oder eine Ratte, die einer mit Glück gefangen hat und am Spieß brät. Teufel auch, wenn wir nicht die Destille hätten, die Piet zusammengebaut hat –« Er beendete den Satz nicht, spreizte nur die Hand und ließ sie fallen wie einen abgeschlagenen Kopf. »Ein langer, sinnloser Fall«, brummte er, »vom Mutterleib ins Grab hinein.«
Und dann zerrte der kleine Mann – Walter bemerkte mit Schrecken, daß er seinem Vater nur bis zur Hüfte reichte – den Alten am Ellenbogen; Truman beugte sich tief hinab, um sich flüsternd mit ihm zu
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