Grün war die Hoffnung
war: sein Groll. Wie konnte er sich von ihr trösten lassen, wenn sie diejenige war, die ihn in die Sache hineingezogen hatte, wenn sie die Schuld an seinem Zustand trug? »Hör zu«, jetzt flüsterte auch sie, ihr Atem war säuerlich, sie roch in den Achseln, und der Schweiß rann ihr die Schläfen hinab, noch eine weitere Last, die ihn erdrückte, »Fred sagt...«
Das war der Moment, als seine Wut wie ein Blutpfropf aufplatzte, als das Faß überlief: auf einmal lag Andrea auf dem Boden, und Tierwater schoß in einer einzigen schlangenartigen Bewegung von der Couch hoch. Er brüllte. Baute sich über ihr auf und brüllte. »Scheiß doch auf Fred!« brüllte er. »Scheiß auf ihn! Und auf dich auch!«
Und dann kam der Brief. Er steckte in einem schmutzigen Kuvert, Einladungskartengröße, und er war weder von seiner früheren Sekretärin, seinem Makler in New York noch vom Gericht oder vom Jugendamt in Josephine County, Oregon. Die Handschrift – ein chaotisches Gemisch aus Blockbuchstaben und einer undisziplinierten, flattrigen Schreibschrift – holte ihn aus seinem Stupor. Mit bebenden Fingern riß er den Umschlag auf – riß den Brief darin aus Versehen gleich in zwei sich ringelnde Streifen – und erkannte Sierras hastig hingeschriebenes Gekrakel auf der Rückseite einer Schnellimbiß-Serviette. Dad , las er, die haben mich zu irgendeinem Farmer gebracht in der Nähe von Titansville oder so ähnlich du mußt mich hier rausholen sonst sterbe ich Sierra .
»Ich werde nichts Voreiliges unternehmen«, sagte er zu Andrea, die in der Küche zwischen freiwilligen Mitarbeitern stand. Der Wind knallte Zweige gegen die Fenster, der Kopierer auf dem Tisch spuckte am laufenden Band Flugblätter aus, Teo hing in der Ecke am Telefon und rieb die unzeitgemäßen Stoppeln auf seinem Sportlerkopf, als könnte er um so mehr Geld aus der Leitung beschwören, je fester er rieb. Es war zwei Uhr nachmittags. Er ließ sich den Brief – vielmehr die Serviette, die von seinem Schweiß feucht war – nicht abnehmen, aber er breitete ihn auf der Handfläche aus, damit sie ihn lesen konnte.
Er beobachtete ihre Miene.
»Ich meine«, hier sprach er leiser, »ich werde sie nicht kidnappen oder so was. Ich will sie nur sehen, sonst nichts – nur ganz kurz. Ihr etwas Geld geben. Sie beruhigen...«
»Nein, Ty. Kommt nicht in Frage. Auf keinen Fall.«
»Sie hat Angst, kapierst du nicht? Kannst du dir das überhaupt vorstellen? Sie begreift nicht, was vorgeht. Vielleicht denkt sie, wir hätten sie im Stich gelassen, das kann gut sein. Ich will meine Tochter zurück. Sie fehlt mir. Ich kann nicht mal mehr schlafen, verdammt noch mal!«
»Vergiß es, Ty. Nein.«
»Weißt du was, Andrea«, und nun hörten sie alle zu, die drei Studenten vom Pierce College in ihren Pierce-College-Sweatshirts, die Hausfrau mit der Zackenfrisur und der verlaufenen Mascara, der arbeitslose vierzigjährige Bürobote mit Bart, Pferdeschwanz und mehreren Ohrringen, »niemand sagt ›nein‹ zu mir, weil ich dieses Wort einfach nicht mehr hören will, weder von dir noch von Fred, von niemandem. Ich fahre hin.«
»Du bist übergeschnappt, Ty. Total übergeschnappt.« Sie machte eine Geste zu Teo, eine dringliche Handbewegung, worauf er etwas ins Telefon raunte und auflegte. »Das ist schließlich kein Witz – die da oben wollen ein Exempel an uns statuieren – an dir, denn du mußtest ja unbedingt einen Fluchtversuch unternehmen, aus einem Krankenhaus, ausgerechnet...«
»Wo liegt das Problem?« wollte Teo wissen. Abrupt schob sich sein Gesicht zwischen Tierwaters und das seiner Frau, das Gesicht des Leberkopfs, ernst und kompromißlos. Beide blickten sie auf ihn hinab.
Andreas Augen waren kalt wie Kristalle. »Ty will rauffahren und Sierra retten. Zeig ihm den Brief, Ty.«
Tierwater zog die Hand hinter dem Rücken hervor, wo er sie instinktiv versteckt hatte, und hielt ihm die schlaffe Serviette hin. Teo überflog die Nachricht, während Andrea ihr Plädoyer hielt: »Ich bezweifle, daß Ty den Ernst der Lage versteht – ich meine, so könnten wir sie vollends verlieren, auf Dauer, jedenfalls, bis sie volljährig ist. Die stecken sie in irgendein Pflegeheim, bestimmt. So was geht schnell.«
Tierwater wollte ihrer Logik nicht recht folgen. »Sie ist jetzt auch in Pflege. Bei so einem Farmer. Stellt euch mal vor! Irgendein Farmer. Scheiße, was wird das für ein Typ sein? Vielleicht ist er ein Kinderschänder oder so – sicher, natürlich ist er das.
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