Grün war die Hoffnung
Tierwater erwartet hatte – kein Bauernhof, keine Kühe, Schweine, Hühner, Ziegen, nicht mal ein Hund, nur ein großes, hübsches türkisfarbenes Haus auf einem freien Platz, der im Wald gerodet worden war. Auf der einen Seite war ein Gemüsegarten angelegt, im hohen Gras vor einem beachtlichen Maisfeld lag ein verlassener Pflug oder eine Ackerfräse, und ein geschlossener Schuppen am Straßenrand verkündete: zuckermais, tomaten, kürbisse , aber niemand, nicht einmal ein Vorstadtteenager unter schwerem Streß, würde das Haus als Farm bezeichnen. Auf der Einfahrt parkte ein gelber Subaru. In den Fenstern fing sich die Sonne und blieb haften. Nirgends war Bewegung, kein Vogel flitzte über den Rasen, kein Schmetterling flatterte über den Pfingstrosen.
Sie fuhren zweimal daran vorbei, einmal in normalem Tempo, um nicht aufzufallen, und dann sehr langsam und zögerlich, wie die verirrten Touristen, als die sie sich ausgeben wollten. »Los, Ty«, ermunterte ihn Andrea, »jetzt stell dich schon auf die Einfahrt – wenn sie da ist, dann sehen wir sie vielleicht und können ihr ein Zeichen geben oder so. Wenn nicht, dann nicht. Müssen wir eben weitersuchen. Abgemacht? Also fahr vor das Haus.«
In diesem Augenblick der Wahrheit stellte Tierwater fest, daß er seltsamer- und bedauerlicherweise unfähig zum Handeln war. Er hatte den Wagen auf der Asphaltstraße knapp hinter der Einfahrt abgebremst, doch als er jetzt über die Schulter sah, um ein Stück zurückzusetzen, bemerkte er, daß hinter ihm ein weiteres Auto stand. Und zwar unmittelbar hinter ihm – praktisch an die Stoßstange geklemmt. Am Steuer saß eine alte Dame – sechzig, siebzig, das war ihm alles einerlei, garantiert senil, bauschiges weißes Haar und um den Hals ein Tuch geschlungen. Sie parkte einfach da, starrte ihn durch die übergroßen Gläser ihrer Brille an, als säße sie im Autokino und wartete auf den Beginn des Films. Er winkte ihr – kommen Sie nur, fahren Sie vorbei, ich parke hier für den Rest meines Lebens –, aber sie schien die Geste nicht zu verstehen. Aus dem Augenwinkel sah er jetzt, wie sich neben dem Haus jemand bewegte, auf den Subaru zuging, ein Kind – aber nicht Sierra – und ein adrett wirkender Mann in einem kurzärmeligen weißen Oberhemd, leise fielen Autotüren zu, darauf folgte das Aufheulen des Motors. Wieder eine Gebärde in Richtung der alten Dame, aber die saß wie angewurzelt am Lenkrad ihres Wagens – ein Cadillac aus der Flossenära –, und schlimmer noch: sie blockierte die Einfahrt.
»Was jetzt?« fragte Tierwater mit zusammengebissenen Zähnen und leiser Übelkeit imMagen; die vielen Berge von Mist dieser Welt schienen sich ausgerechnet rings um ihn aufzutürmen. Er sah zu Andrea, wollte irgend jemandem die Schuld zuschieben, und sie war das ideale Ziel. Ganz automatisch. »Das da könnten sie sein, sie könnten hier vor uns stehen – was soll ich tun?«
Der Subaru hatte am Ende der Einfahrt wieder angehalten, zwei freundliche Mienen waren hinter dem ungetönten Glas der Windschutzscheibe zu sehen, sie blickten etwas überrascht auf die Dame im Cadillac, aber keine hektisch hupende Ungeduld und Großstadtgehässigkeiten, sondern breitestes nachbarschaftliches Grinsen. Der schmucke Mann – Tierwater taxierte ihn bereits – sah aus wie um die Dreißig, das blonde Haar trug er links gescheitelt, auf seine Brille war ein Sonnenschutzvorhänger gesteckt, er wirkte wie ein Bauinspektor an seinem freien Tag. Neben ihm saß ein sechzehn- oder siebzehnjähriger Junge mit tiefliegenden Augen, wie von den Daumen eines Töpfers in den Kopf gebohrt, und einer apricot gefärbten Flattopfrisur. Andrea stieg aus.
»Halli-hallo«, sagte sie, schirmte die Augen mit einer Hand ab und wedelte begütigend mit der anderen. Sie ging entlang des zugewucherten Grabens, der die Bankette darstellte, auf die Einfahrt zu und sprach eher in Richtung der Subaru-Windschutzscheibe als zu der geduckten, starren Gestalt der alten Dame. »Könnten Sie uns vielleicht helfen – wir haben uns anscheinend verirrt. Wir suchen nämlich« – sie warf einen mit einem Lächeln garnierten Blick auf die alte Dame, nur der Form halber, ehe sie sich wieder an den Subaru wandte – »nach dem Haus der Wilsons. Also, Ted und Dodie Wilson?« Und dann blieb sie stehen, knapp hinter dem Cadillac, keine zwei Meter vor der Stoßstange des Subaru.
Der schmucke Mann – eins zweiundsiebzig groß, fünfundsechzig Kilo schwer, seine Sachen saßen wie
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