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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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selbst überlassen. Weshalb? Ich war peinlich berührt. Schämte mich. Ich hatte völlig falsch gelegen mit Andrea und Teo – es lief nichts zwischen ihnen, und an jenem ersten Wochenende, nachdem wir Sierra auf ihren Baum gebracht hatten, saßen sie mir beide an einem Tisch in einem Restaurant in Willits gegenüber, zogen lange Gesichter wie geschundene Heilige und klärten mich auf. (Erst später, lange nach meiner Trennung von Andrea, sollten sie mal eine Zeitlang zusammensein, wobei ich unwillkürlich denken muß, daß ich das ja geradezu in die Wege geleitet hatte.) Die Bewährungskommission gestattete mir, nach Eureka zu ziehen, wo ich einen Job gefunden hatte – nichts Besonderes, Verkäufer in einem Haushaltswarengeschäft, aber immerhin kam ich damit aus L.A. raus und konnte in der Nähe meiner Tochter sein. Ich packte den Jeep, während Andrea in der Arbeit war, und hinterließ einen Zettel. Ich weiß es nicht – wir haben nie darüber gesprochen –, aber ich glaube, sie muß erleichtert gewesen sein.
    Meine Wohnung war nicht viel größer als die Zelle, die ich mit Sandman geteilt hatte. Ein Zimmer mit Bett und Fernseher, eine Küche von der Größe der Kombüse in einer Zehnmeteryacht, Dusche und Toilette, dahinter ein Flecken Erde, in dem ein rostiger Eisensessel auf einem Betonsockel stand. Ich hätte mehr haben können – hätte jederzeit etwas von dem Geld abheben können, das in Earth Forever! investiert war, und die von General Electric wären nie darauf gekommen –, aber ich wollte gar nicht mehr. Ich wollte weniger, viel weniger. Ich wollte leben wie Thoreau.
    Meine wichtigster Zeitvertreib war Sierra. Viermal, fünfmal, ja sechsmal die Woche wanderte ich zu ihrem Baum hinaus und plauderte mit ihr, wenn sie nicht gerade mit Interviews oder ihrem Tagebuch beschäftigt war. Manchmal ließ sie sich im Sitzgurt herunter und schwebte dann über mir, ihre Fußsohlen waren so schwarz, als wären sie frisch geteert; sonst redeten wir auch über Handy miteinander, manchmal stundenlang, durchstreiften einen Nachmittag oder Abend lang Gesprächsthemen und Erinnerungen, als wäre es ein langer träger Traum, und ihre Stimme klang so innig in meinem Ohr, so nah, daß es mir fast schien, als wäre sie wieder zur Erde herabgestiegen.
    Zur Feier ihres dritten Jahrestages auf dem Baum veranstalteten wir eine kleine Party: ihre Hilfsmannschaft, ein Dutzend Journalisten, eine ganze Menge von einfachen E.F.!-Mitgliedern, auch Andrea und Teo kamen aus Los Angeles, und das war in Ordnung, ein Küßchen auf die Wange, eine Umarmung – »Alles okay bei dir, Ty? Wirklich? Du weißt, wo ich bin, wenn du mich brauchst« –, Andrea so schön und streng und Tierwater so ungelenk und dämlich, in etwas gefangen, das bis zum Ende durchgestanden werden mußte. Ich hatte Sierra eine Torte besorgt, die wohl eigentlich für irgend jemandes Hochzeit gedacht war – vier Etagen, schichtenweise Zuckerguß und obendrauf die einsame Plastikfigur einer Braut ohne Bräutigam. Mit dieser einsamen Braut wollte ich meiner Tochter etwas sagen: es war Zeit zum Runterkommen. Zeit zum Weiterleben. Zum Weiterstudieren, zum Heiraten, Kinderkriegen – zum Duschen, verdammt noch mal. Wenn sie die Bedeutung dieser verwaisten Figur begriff, ließ sie es mich jedenfalls nicht wissen. Aber sie behielt sie – die Figur –, bewahrte sie auf, als wäre es eine der herausgeputzten Puppen, für die sie Erlebnisse erfunden hatte, als sie ein mutterloses Mädchen allein in der Festung ihres Zimmers gewesen war.
    Eine Woche später. Keine zehn Grad, leichter Nieselregen. Diese Bäume, dieser Hain war mir inzwischen vertrauter als meine Wohnung oder das Haus, in dem ich aufgewachsen war. In der Luft lag der Duft von brennendem Holz, die gedämpften Geräusche des Waldes sanken langsam in den Abend hinein, ein verschleierter Sonnenstrahl legte ein leuchtendes Band über den Stamm ihres Redwoods, knapp oberhalb der unteren Plattform – die leer war, wie ich bemerkte, als ich den Hügel hinaufstieg und ihre Nummer in das Mobiltelefon tippte. Es war Viertel nach vier. Ich kam gerade von der Arbeit. Und rief meine Tochter die Baumbewohnerin an.
    Ihre Stimme meldete sich, leise und rauh, die gelassenste Stimme der Welt, eben als ich den Fuß des Baumes erreichte. »Hallo, Dad«, raunte sie in diesem Tonfall von Vertraulichkeit und Nähe, ebenso froh darüber, meine Stimme zu hören, wie ich mich über ihre freute, »was gibt’s Neues?« Ich wollte ihr

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