Grün war die Hoffnung
enttäuscht. Ich sehe Gesichter, die so zerfurcht und verrunzelt sind wie die Straße, die hierherführt, triefende Augen, schlaffe Kinnladen, aus Ohren und Nasenlöchern wachsen Sträuße von nikotinfarbenem Haar – wir sind unter unseresgleichen, endlich. Ich schiebe Andrea einen Hocker hin, sie ist die einzige Frau im Raum, und warte auf den Barkeeper, der nun die Theke entlang auf uns zuschlurft. Er keucht beim Atmen. In der Hand hält er einen Becher Kaffee. Er bleibt vor uns stehen, kein Zeichen des Wiedererkennens, und hebt fragend die Augenbrauen. »Scotch«, sage ich hoffnungsfroh, »und für meine Frau einen Wodka Gibson?«
»Genau«, sagt sie, »zwei Oliven, sehr trocken. Und ein Glas Wasser. Bitte.«
Am anderen Ende der Bar läuft eine gemurmelte Unterhaltung, müde Stimmen, dann die Pointe, müdes Gelächter. Andreas Hand greift nach meiner, die auf dem Oberschenkel ruht. »Meine Frau?« fragt sie.
Ich mag den Blick in ihren Augen. In diesen Blick habe ich mich mal verliebt, seinerzeit, vor vielen Gefängnisstrafen. »Was soll ich denn sonst sagen – ›Einen Drink für meine Ex hier‹?«
Der Barkeeper stellt uns zwei Glas mit trübem Sake und ein Wasser hin, kein Eis, und ich versuche ihm die Jahre vom Gesicht abzuziehen, seine Schultern aufzurichten, die Wampe wegzulassen; kenne ich ihn? »Sind Sie schon lange hier?« frage ich ihn.
Er hat einen Vollbart in vier verschiedenen Graustufen, die Sorte, die von den Wangenknochen absteht, als ob ihm ein Sturmwind um den Kopf bläst. Er stützt sich auf dem Tresen auf, und allein daran lese ich ein halbes Dutzend Wehwehchen ab: Leberprobleme, kaputte Füße, Schleimbeutelentzündung, Arthritis, künstliches Hüftgelenk, Kriegsverletzungen. »Seit neunzehnhundertzweiundsechzig«, sagt er und streift mit einem Blick seiner wäßrigen Augen die Brust von Andreas Kleid.
Sie schaltet sich ein: »Was ist mit den Bäumen passiert? Hier oben war’s immer so schön.«
Einen kurzen Moment lang – der Fernsehkoch brabbelt irgendwas über synthetisches Öl und Opuntienkaktusmark aus der Dose, draußen der pfeifende Wind, die fahle Sonne, irgendwo auch der Häher wie ein verirrtes Traumfragment – habe ich das Gefühl, wir schwimmen alle auf einer Welle, überdenken diese Frage und ihre Konsequenzen: die drei jungalten Männer am anderen Ende der Theke, der Barkeeper, Andrea und ich. Was ist passiert, genau. Doch der Barkeeper, der sich einen nassen Lappen von einer Hand in die andere klatscht, wie eine Eidechsenzunge, bricht den Bann. Er zuckt die Achseln, ein beredtes Zusammenziehen der massigen Schultern. »Hab nicht den geringsten Schimmer«, sagt er.
Keiner hat dem etwas hinzuzufügen, und eine Zeitlang ist es still in der Bar, bis einer der Männer gegenüber murmelt: »Oh, verdammt.« Alle blicken auf und sehen einen nagelneuen roten Kastenwagen sich nähern. Die Reifen rollen in die tiefen Bodenwellen hinein und wieder heraus wie eine glänzende schwarze Flüssigkeit. Der Wagen fährt bis an die Treppe heran, so dicht, daß die Stoßstange praktisch das Geländer berührt, und der Barkeeper stößt ein leises gepreßtes Stöhnen aus. »Scheiße«, sagt er, »das ist Quinn.«
Quinn ? War das möglich? War das menschenmöglich?
»Trink aus, Bob«, sagt einer der gedrungenen Männer, und dann schieben sie ihre Barhocker zurück, klopfen ihre Taschen nach Schlüsseln ab, ächzend und keuchend und schlurfend. »So, wir müssen dann wieder, mach’s gut, Vince, bis später.«
Ich betrachte fasziniert das Schauspiel, wie sich die tomatenrote Tür des Kastenwagens automatisch öffnet und eine mechanische Vorrichtung einen Rollstuhl aus dem Inneren herunterläßt, als Andrea meinen Arm ergreift. »Wir sollten auch weiterfahren, Ty, ich habe keine Ahnung, in was für einem Zustand die Hütte ist – Bettzeug, Decken, das Wesentliche. Es könnte eine Riesenenttäuschung werden – und ein Haufen Arbeit. Aber ich habe nicht vor, heute nacht im Auto zu schlafen, o nein, garantiert nicht.« Sie steht jetzt neben mir, die Handtasche um die Schulter geschlungen. »Ich geh nur eben noch auf die Toilette...«
Quinn war bereits vor fünfunddreißig Jahren alt. Ein kleiner Affenmann mit verhutzeltem Gesicht und einem höchstens kokosnußgroßen Kopf, umherhuschender Schnüfflerblick und jede einzelne Zelle in Alkohol konserviert. Jetzt muß er neunzig, fünfundneunzig sein. Und da ist er auch schon, vor dem Fenster, läßt sich behutsam in den Rollstuhl nieder und
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