Grün war die Hoffnung
gerade etwas erzählen, eine witzige kleine Episode von der Arbeit, wo ein Holzfäller – Sägewerksangestellter – in meinem Laden nach Kippschaltern gefragt hatte, aber er sprach es immer wie »Gippsalter« aus, und das klang wie »Sag mal, habt ihr hier auch Gips, Alter?«, als ihre Stimme in meinem Ohr aufschrie.
Sie stieß einen überraschten Schrei aus – »Oh!« rief sie, oder vielleicht war es auch »Oh, Scheiße!« –, denn trotz der drei Jahre auf dem Baum und trotz des zupackenden, sicheren Griffes ihrer nackten, abgehärteten Zehen hatte sie das Gleichgewicht verloren. Das Telefon kam als erstes, ein schwarzes, rasend schnelles Geschoß, wie ein abgebrochenes Stück des tiefen düsteren Himmels, und es machte beim Aufschlagen ein eigenes besonderes Geräusch, es gab ein irgendwie mechanisches Quäken von sich, als wäre es ein kleines, auf den Bäumen lebendes Wesen, das beim Springen von Ast zu Ast eine minimale Fehleinschätzung begangen hatte. Aber das war nicht so schlimm, alles nicht so schlimm – sie hatte nur ihr Handy verloren, ich würde ihr ein neues besorgen, und hatte ich nicht gerade neulich eine Anzeige in der Zeitung gesehen und gleich an sie gedacht?
Doch dann fiel etwas Größeres hinterher – viel größer, ein jäher dunkler Schemen, so riesig und abrupt, daß der Himmel ihn nie hätte halten können. Ich hörte ein Geräusch – einen plötzlichen, dumpfen, nassen Laut –, und dann war es still im Wald.
Petunia ist kein Hund. Sie ist eine Patagonische Füchsin. Daran muß ich mich wieder erinnern. Es scheint bedeutsam. Es ist die Sorte Unterschied, die wichtig sein wird in dem Leben, das uns bevorsteht, ob nun oben auf dem Berg oder in einem Cloninglabor irgendwo in den Eingeweiden von New Jersey. Petunia ist kein Hund. Irgendwie wiederhole ich mir diesen Satz ständig, während wir uns die aufgeborstene Bergstraße hinaufschlängeln, die heiße Glut des Tages vor mir, Andrea schlafend an meiner Seite. Was mir auffällt, in den unteren Höhenlagen, das ist die Farblosigkeit des Waldes. Hier, wo die Laubbäume in voller Blätterpracht stehen sollten, sehe ich nichts als Welkheit und Zerfall, hundert skelettartige braune Strünke kommen auf einen grünen Baum. Die Chaparral-Hartlaubvegetation auf den Südhängen wirkt normal: leichenbleiche Grautöne und milchiges Grün, zwanzig Schattierungen von Beige, doch nach jeder Kurve, wenn die hohen Berge wieder in Sicht geraten, stimmen die Farben nicht mehr – aber vielleicht spielt mir das Gedächtnis auch nur einen Streich. Allein hierzusein, nach all den langen Jahren durch die sichtbare Welt zu fahren, verschafft mir Seelenfrieden.
Natürlich gibt es die unvermeidlichen Apartmenthäuser. Und den Verkehr. Das hier war früher mal eine kurvige zweispurige Landstraße durch ein weites Forstgebiet, dünnbesiedelt, kaum befahren. Heute krieche ich mit Tempo fünfundzwanzig in einer Schlange von Autos und Lastwagen, die sich in die Hügelflanke bohren, so weit ich sehen kann, und ich atme auch keine kühle Bergluft – windgepeitschter Auspuffqualm, mehr gibt’s nicht. Wo vor fünfunddreißig Jahren nur Steilhänge und Kuppen aus Granit aufragten, gibt es heute Beton und Glas und künstliches Holz, Apartments, die sich übereinandertürmen wie die Höhlenwohnungen der Anasazi, Augen aus Glas, Zähne aus Stufen und Geländern, die pochenden Herzen von Klimaanlagen, Tausende von ihnen, und kein Mensch in Sicht. Beklage ich mich? Nein. Dazu hab ich kein Recht.
Andrea schläft weiter, ihr altes Doppelkinn vibriert in einer Serie von leisen, rasselnden Schnarchern. Petunia stinkt still vor sich hin und leckt gerade eine Pfütze ihrer eigenen Kotze auf, in der Lücke zwischen drei Kisten mit edlem Wein und einer Kühlbox, die mit uraltem Rindfleisch randvoll gestopft ist. Ich flüstere vor mich hin, plappere sinnloses Zeug, eine Art Litanei, die ich mir im Gefängnis ausgedacht habe, um kundzutun, was wir allein auf unserem Kontinent eingebüßt haben – Knochenschwanzdöbel, Okaloosa-Flußbarsch, Stahlblauer Killifisch, Fleckschwänziger Taubleguan, Haubencaracara, Pfeifregenpfeifer, Florida-Weißwedelhirsch, Kitfuchs, Appalachen-Flußperlmuschel –, aber ich kann es nicht durchhalten. Es deprimiert mich nur. Vor uns ragt der Gipfel auf. Freude. Erlösung. Der Quell eines neuen Lebens. Ich schalte das Radio an, hoffe auf etwas Ordentliches, auf Ride Your Pony vielleicht, aber ich kriege nur einen sehr zornigen Ansager rein, er spricht
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