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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Grunde schnurzegal, denn er kannte den Typ praktisch überhaupt nicht, und für seine Spießgesellen konnte er schwerlich irgendwelche Empfehlungen abgeben. Aber Dale Murray hatte zwei Beine und zwei Arme, und sie würden alle Hände voll zu tun haben, wenn sie ihr Projekt tatsächlich verwirklichen wollten – jedenfalls stand ihnen eine lange Durststrecke bevor, ehe sich die ersten Ausreißer oder Wochenendhippies wieder in ihren Reihen einfinden würden, das war mal sicher.
    Er hörte Lärm aus der Richtung des Busses, eine lebhafte Auseinandersetzung zwischen Mendocino Bill und Norm über die Brauchbarkeit des Ersatzreifens – »Ich hab nicht den geringsten Zweifel«, sagte Norm, »absolut keinen, also mach schon, schraub ihn fest« –, und dann drückte ihm Star den Trip in die Hand. Er nahm ihn entgegen, wie er es gewohnt war – wenn einem jemand was zum Anturnen gab, dann warf man es ein, ohne lange zu fragen –, und er ging sogar so weit, die Hand zum Mund zu führen und so zu tun, als schluckte er die Pille. Der Qualm der Räucherstäbchen stieg ihm in die Nase. Die Sonne legte ihm eine heiße Hand in den Nacken. Niemand beobachtete ihn – alle starrten über die Straße, auf den Bus, auf Norm, auf den schwarzen Reifen, der auf der Erde lag wie ein Kadaver. Aber sie waren noch nicht angekommen, dachte er, und er würde nicht feiern, ehe sie nicht wirklich da waren. Er schob die Pille in die blutbefleckte Tasche seiner ruinierten Brokatweste.
    Star brach in Gelächter aus über etwas, was Jiminy gesagt hatte, und dann lachten sie alle – auch er, Marco, obwohl er keine Ahnung hatte, worüber er da lachte oder ob Lachen tatsächlich die angemessene Reaktion war. Egal. Die Räucherstäbchen qualmten, die Frisbeescheibe hing in der Luft, und sie lagen am Straßenrand und lachten, einfach nur so, und man hätte meinen können, die Blockhäuser wären längst gebaut, das Holz zum Heizen gehackt, der Goldstaub gewaschen, die Felle gegerbt und die Speisekammer gefüllt, denn keiner verspürte die geringste Sorge dieser Welt. Merry reichte Star einen heruntergerauchten Grasjoint, und die hielt ihn sich an die Lippen, bis der Stummel aufglühte, dann gab sie ihn an Marco weiter, der nahm ihn mit spitzen Fingern entgegen und zog einen Moment lang daran, saugte den süßen Rauch ein, wie er es schon tausende Male getan hatte. Alles schien verlangsamt, als hätte die Erde auf ihrer Achse innegehalten und das kleine Stück Himmel über ihnen wäre alles, was sie je brauchen würden. Und dann registrierte er aus dem Augenwinkel eine unendlich langsame Bewegung: die Hunde wagten sich aus dem dunkelblauen Schatten unter dem Bus hervor und reckten sich mit geziertem Beugen und Strecken ihrer Hinterläufe. Beide sahen die Straße entlang, und Freak, dem sich die Nackenhaare sträubten, stieß ein fragendes Blaffen aus.
    Ein anderer Hund war in der Kurve weiter vorn aufgetaucht – oder nein, das war ein Wolf, mit knochigen Beinen, die von seinem Körper abzustehen schienen, als wären sie falsch herum angebracht, ein Wolf, der hier in Alaska eine Straße entlangtrottete. Marco war im Nu auf den Beinen. »Seht mal«, sagte er, »seht doch mal, da ist ein ...« Dann hielt er inne. Um die Kurve kamen nun zwei Gestalten, ein Mann und eine Frau, die unter der Last ihrer Rucksäcke dahinschritten, und es war wohl doch kein Wolf, jedenfalls kein wilder. Die Leute erhoben sich langsam. »Norm«, sagte irgendwer, »hey, Norm.«
    Der Mann war groß, muskulös und schlank. Er trug ein ausgeblichenes Flanellhemd mit hochgerollten Ärmeln und Jeans, die dermaßen fadenscheinig und zerlumpt waren, daß Marcos dagegen wie neu aussahen. Seine Haare waren dicht und kurz und standen ihm vom Schädel ab. Er marschierte, als wäre Marschieren eine sportliche Disziplin, der stete Schlag seiner Beine und das Geräusch seiner Stiefel peinigte die Straße zu seinen Füßen, ein Silhouettenmann in Bewegung vor dem grellen Sonnenglanz, und Marco hatte keine Vorstellung, wer das sein mochte: ein Landstreicher, ein Tankwart oder der weise Zigeuner höchstpersönlich. Die Frau – sie war Mitte Zwanzig, ihr blondes Haar war zum Pferdeschwanz gebunden wie bei einer Cheerleaderin, ihre Dreiviertelhosen ließen die Wadenmuskeln und die scharfen Konturen von Hintern und Oberschenkeln in Bewegung sehen – hob die Hand an die Augen, als könnte sie nicht recht entscheiden, ob dieser Schulbus da vorn nur eine Luftspiegelung war. Zwei hellbraune Blitze

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