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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wieder hob, so daß er mit dem Gesicht gegen die Tür knallte. Der Bus bewegte sich nicht mehr, und draußen schienen alle gleichzeitig loszubrüllen.
    Seine Nase war nicht gebrochen, jedenfalls nahm er das an, aber Blut hatte ihm einen dunklen Fleck auf sein T-Shirt gemacht und die schwarzgoldene Brokatweste, die Star für ihn in einem Second-handshop in Ukiah herausgesucht hatte, weitgehend ruiniert, und das war echt schade – beschissen war es, richtig beschissen –, denn diese Weste war inzwischen Teil seiner Persönlichkeit geworden, sein Erkennungszeichen, das aller Welt verkündete, wer er war und was er vorhatte. Diese Weste war hip gewesen, einfach absolut hip, und jetzt war sie hin. Andererseits war es nicht so schlimm, sagte er sich. In sechs Monaten würde er Karibuleder tragen, die Pelze von Wolf, Bär und Hermelin – was genau war eigentlich ein Hermelin? So eine Art Wiesel, oder?
    Das Blut in seinem Schnurrbart und in den Mundwinkeln war getrocknet, und er setzte sich an den Straßenrand, um abwechselnd kleine Krümel davon abzuwischen und nach Moskitos zu schlagen, während der Rest der Sippe umherwuselte und Mendocino Bill und Tom Krishna dabei zusah, wie sie versuchten, das Rad mit dem zerfetzten Reifen von der Achse herunterzubugsieren, und natürlich mußte es eines der inneren Räder sein – was hätte man schon anderes erwarten sollen? In Wahrheit war es ihm vollkommen egal, ob seine Nase gebrochen war oder nicht, ihn kümmerte weder das Blut noch der pochende, dumpfe Schmerz in seinen Nebenhöhlen, und er wußte auch schon gar nicht mehr, was er in dem stählernen Käfig des Klos eigentlich gewollt hatte, denn wie allen übrigen war ihm so elend, daß er hätte heulen können. Nach Norms Berechnungen waren sie keine fünf oder sechs Kilometer mehr von Boynton entfernt, gerade nur ein Fußmarsch – und nun gab es erneut einen Aufenthalt, ein letztes Hindernis, das sie davon abhielt, die Zelte aufzustellen und Bäume zu fällen. Endlich mal auf festem Boden schlafen, mehr verlangten sie ja gar nicht. Einfach nur anzukommen. Um ein Lagerfeuer zu sitzen und wieder eine Familie zu sein, nicht mehr eine Art Wanderzirkus.
    Star hatte neben ihm gesessen, die Moskitos waren auch auf sie mit aller Bosheit losgegangen, aber dann war sie zurück in den Bus geklettert, um sich lange Hosen und eine Jacke überzustreifen, und er hatte sie gebeten, ihm eine Dose Insektenspray aus seinem Rucksack mitzubringen. Die Landschaft war feucht hier, sumpfig, der obere halbe Meter Erde taute im Sommer zwar auf, aber er hielt das Schmelzwasser wie ein Becken, weil es nicht in die gefrorenen Schichten abfließen konnte, und das war einfach ein ideales Biotop für Culex pipiens und ihre sich krümmenden Larven im Wasser. Sie hatten in Connecticut in den Sommernächten geschwärmt, wo er aufgewachsen war, und er hatte auch schon die Viecher im Süden erlebt, in Florida und Louisiana, aber die Moskitos hier – seine erste Begegnung mit der Tierwelt Alaskas, auch nicht übel, was? – waren überhaupt kein Vergleich damit. Er schlug sich auf die Oberarme und klatschte mit der flachen Hand auf seinen Nacken, und als er niesen mußte, flog ihm ein ganzer Klumpen von zerfetzten Insekten aus den Nasenlöchern. Seine Nase pulsierte wie eine eben angeschlagene Glocke, und er trank zum Ausgleich etwas Billigrotwein aus der Feldflasche – Alfredo hatte in irgendeinem Provinzladen auf der Strecke eine Kiste Doppelliterpullen erstanden –, und mit jedem Schluck sagte er sich, er müsse ruhig bleiben, Geduld bewahren, sich treiben lassen. Wenigstens war ihm nicht mehr zum Kotzen zumute, immerhin etwas.
    Er sah zu, wie Star aus dem Bus kletterte, Merry, Maya und Jiminy im Schlepptau, alle vier mit verschwörerischer Miene. Star hatte rote Cordschlaghosen und ihr Jeanshemd angezogen, das mit den aufgestickten Tierkreiszeichen auf den Armen und den Schultern – Sagittarius, der Schütze, spannte dort seinen Bogen, als wollte er jede Bedrohung von Star abwehren. Die vier rückten über die Straße auf ihn los, mit glänzenden, triumphierenden Gesichtern im scharfen Licht der tiefstehenden Sonne, und er sah an der Art, wie Star die rechte Hand wölbte und dicht an den Körper gedrückt hielt, daß sie noch etwas anderes als das Insektenspray bei sich hatte. Er betrachtete ihre sich wiegenden Hüften, sah ihre Sandalen den Staub der Straße aufwirbeln. Ihre Züge waren ebenmäßig, ihre Augen leuchteten. Sie schenkte ihm ein so

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