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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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schossen die Straße entlang, trappelnde Pfoten, angespannte Muskeln, dann waren Freak und Frodo bei ihnen, aber der Mann ging ungerührt weiter, und auch sein Hund reagierte nicht – er senkte nur den Kopf und folgte seinem Herrn auf den Fersen. Staub stieg auf, und dann hatte sich der Abstand auf Null verringert, und der Mann und die Frau standen auf der verlassenen Landstraße unmittelbar vor ihnen.
    Tom Krishna war mit der Achse beschäftigt, mit dem mächtigen Stahlgürtelreifen und der widerspenstigen äußeren Felge, die in diesem Moment endlich nach innen glitt und nun an dem bereits montierten Ersatzrad anlag. Er sah in die Stille hinauf – auf die beiden Wanderer, die mit ihren vollgepackten Rucksäcken vor ihm standen. »Hallo«, sagte er und erhob sich aus der Kauerstellung, »was tut sich, Alter?« Er streckte einen ölverschmierten Arm für den Soul-Handschlag aus, der jedoch nicht erwidert wurde.
    Der Mann sah ihn nur mit amüsiertem Grinsen an, sah sie alle an: »Ihr seid doch nicht ...« begann er. Sein Tonfall drückte schlichtweg Ungläubigkeit aus. »Ihr seid doch nicht etwa Hippies , oder doch?«
    Nun trat Norm vor, bauschiger Overall und glitzernde Ringe an den Fingern. Die Glocke um seinen Hals bimmelte leise. Die Ziegen im Bus drückten mit verlorenem Meckern ihre Unzufriedenheit aus: sie wollten raus, sie wollten ins Freie, wollten sich grasend den Weg nach Boynton bahnen. Norm bellte seinen Namen hervor – »Norm Sender!« – und packte die Hand des Mannes für einen konventionellen Händedruck, ehe er sich der Frau zuwandte und ihr die Goldkronen in seinen schlechten Zähnen zeigte. »Wir sind Drop City, das sind wir, Botschafter des Friedens, der Liebe und des höheren Bewußtseins, und wir kommen den weiten Weg von Kalifornien hierherauf, um die Hütte meines Onkels Roy in Besitz zu nehmen – Roy Sender, ja? –, am Ufer des wunderschönen, sanften und glasklaren Thirtymile River. Und wir sind hocherfreut, euch hier zu treffen.«
    Der Mann kratzte sich am Hinterkopf und ließ seinen Blick von einem Gesicht zum anderen hüpfen wie bei einem Kinderspiel. »Teufel auch«, sagte er. »Ihr seid tatsächlich Hippies.«
    Die Frauen kicherten. Mendocino Bill sagte: »Stimmt genau. Und wir sind stolz drauf.«
    Und dann schien der Mann auf etwas ganz anderes zu kommen, auf eine weiterführende Idee, die ihn richtiggehend ratlos machte, und Marco sah ihn mit den Füßen im beigefarbenen Staub der Straße herumscharren. Sah, wie er die Stirn runzelte und wie sein Grinsen verschwand. Der Mann ließ den Blick umherschweifen, dann wandte er sich wieder an Norm. »Hast du eben Roy Sender gesagt?«

21

    Das hatte er gesagt, Roy Sender – Roy Senders Hütte –, und Sess bemühte sich heftig, seine Gesichtsmuskeln zu beherrschen, aber seine Körpersprache verriet ihn. Er trat einen Schritt zurück, um Distanz zu gewinnen, und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Das war ja verrückt, vollkommen verrückt, wie aus einer Zeitschrift herausgerissen – »Die Woodstock-Generation«, »Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll« oder so was –, herausgerissen und zum Leben erwacht, zu dreidimensionalem Fleisch und Blut, und Fleisch war hier das zentrale Wort, denn diese Hippiefrauen, die da am Straßenrand saßen, waren der Stoff, aus dem sich die Winterphantasien in der Wildnis zusammensetzten, und zwei von ihnen, die kleine Blonde und die Brünette mit dem Cowboyhut, die die Beine von sich streckte, hätte man ohne weiteres auch in einer ganz anderen Sorte Zeitschrift finden können. Er dachte an den Playboy , an Dude , und dann dachte er: Am Thirtymile River? Hat der eben Thirtymile River gesagt ?, als ihn der dicke, speckige Kerl mit den vielen Goldfüllungen – der Neffe – mit einer wahren Flut von Fragen überschüttete: Wer waren denn sie eigentlich? Wo wollten sie hin? Waren sie schon mal in Boynton gewesen? Wußten sie, ob der Zug der Lachse bereits begonnen hatte? Und wie stand’s mit den Beeren? Waren die Beeren im Wald schon reif?
    Sess warf Pamela einen Blick zu. Sie wirkte wie eine Ethnologiestudentin, die man versehentlich beim falschen Stamm abgesetzt hatte – unter Kopfjägern, während sie auf ein Volk von Korbflechtern gefaßt war –, und sie gab nichts von sich preis, nicht einmal ein dünnes Lächeln. Lucius zog sich ebenfalls von diesen Leuten zurück – er drückte sich gegen Sess’ Beine und beobachtete die beiden hellbraunen Hunde, die im Staub herumhüpften und ihn mit den

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