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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Schüsse bringen die Hunde für einen kurzen, schwebenden Augenblick zum Schweigen, doch dann bellen und knurren sie wieder, bis ein letzter, vierter Schuss erklingt und sie unvermittelt verstummen. Sie sieht Frazier an. Er hat den Kopf schräg gelegt und lauscht, das Gewehr ist jetzt in seinen Händen, und bevor sie das gedämpfte Trappeln sich nähernder Hufe identifizieren kann, knallt das Handtuch direkt neben ihrem Ohr, und das dunkle, schnelle Ding, das aus der Deckung der Büsche auf sie zugerast ist, liegt tot auf der Erde, als hätte es schon die ganze Zeit dort gelegen, durch einen komplizierten Zauber vertauscht gegen das lebende Tier.
    Sie riecht das Schießpulver, den Regen, das Blut, und da kommen die Hunde – zwei von Fraziers preisgekrönten Australischen Bull Arabs mit kräftigen Schultern, massigen Köpfen und Schnauzen und jagdfiebrigen Augen. Sie brechen aus dem Gebüsch und fallen über das Schwein her – es ist ein Keiler, ein großer Keiler mit gekrümmten Hauern –, bis Frazier sie zurückruft, zu dem Tier geht und ihm mit der Pistole aus dem Halfter an seiner Hüfte den Fangschuss gibt. Noch ein Knall. Die Hunde setzen sich. Jetzt sind Stimmen zu hören, Kiwi-Stimmen von irgendwo weiter unten. »Hast du ihn erwischt, Fraze?«
    »Wie immer«, ruft er zurück. »Aber ihr Jungs werdet schlampig. Wenn der entwischt wäre, hätten wir das nächstemal unsere liebe Mühe mit ihm gehabt.«
    Der Tadel hängt einen Augenblick in der Luft, und dann ertönt wieder eine der Stimmen – Alma erkennt sie als die von Clive Hyndman, einem blonden Sechsundzwanzigjährigen mit permanentem Sonnenbrand auf der Nase und Beinen, die so gut aussehen, dass er als Model für Khakishorts arbeiten könnte. »Wir haben die Bache und drei Frischlinge erwischt. Wussten nicht mal, dass der Alte auch dabei war, bis er den Berg raufgerannt ist.«
    Und Frazier legt die Hand trichterförmig an den Mund und ruft: »Keine Sorge. Hauptsache, wir haben ihn. Kommt ihr rauf, oder sollen wir runterkommen?«
    Sie hört, wie sie sich den Hang hinaufarbeiten: ein Scharren und Rascheln, untermalt vom Scheppern loser Steine. Die nass glänzenden Hunde sitzen da und haben das Interesse an dem Schwein verloren – das lebende Schwein ist es, das sie anspornt, das fliehende Schwein, dieses seltsame Tier, das beim Klang ihres vereinten Geheuls die Flucht ergreift und nicht aufhört zu rennen, bis sie es gestellt haben und der Mann mit dem Gewehr kommt, um ein Ende zu machen. Alma würde sich am liebsten auf den nächstbesten Felsen sinken lassen – ihre Beine fühlen sich taub und leblos an, zu schwach, um sie zu tragen –, doch statt dessen geht sie zu dem Kadaver und mustert ihn, als hätte sie ihn heraufbeschworen. Er ist größer, als sie gedacht hat, eigentlich riesig, drei- bis vierhundert Pfund schwer, und das Fell ist scheckig und struppig, mehr wie das eines Hirtenhundes als das der gepflegten Hausschweine, die sie in den Dörfern auf Guam im Schlamm hat wühlen sehen. Fraziers erster Schuss mit dem Gewehr hat die Halsschlagader getroffen: Helles, sauerstoffreiches Blut ist herausgespritzt, bis das Herz aufgehört hat zu schlagen und der Strahl in sich zusammengesunken ist, als käme er aus einem Gartenschlauch, den jemand eingeklemmt hat. Das Blut zeichnet einen Schatten auf den Körper, so dunkel, dass es ebensogut Öl sein könnte, als wäre das Tier gestolpert und in einen Tümpel gefallen.
    Tropfen fallen lautlos auf das dichte, rauhe Fell, auf die starren, blicklosen Augen, die zarten Wimpern, die Falten in den Augenwinkeln, das tiefe Schokoladenbraun der Iris. Sie ignoriert das Prasseln des Regens und beugt sich vornüber, um besser sehen zu können. Die Hufe faszinieren sie. Sie hat noch nie Wildschweinhufe aus der Nähe gesehen – sie sind ihrer Aufgabe so hervorragend angepasst, eingebaute Schuhe, vor Nässe dunkel schimmernd und so unempfindlich, als wären sie aus Kunststoff. Und die Ohren, die aufgestellt werden können wie die eines Schäferhunds, um Geräusche aufzufangen und zu orten, die Menschen kaum wahrnehmen. Die schweren Schultern, die elegant geschwungenen Hinterbeine, der kurze Schwanz. Dieses wilde, vollkommene Wesen. Sie spürt den Kummer in der Kehle, den Kummer des Seins, und wenn sie das Tier wieder zum Leben erwecken und in einen anderen Lebensraum bringen könnte, dann würde sie es tun.
    Frazier tritt hinter sie. »Fünf weniger«, sagt er. »Und Hunderte laufen noch herum.«
    Sie nickt nur.

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