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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zwanzig Menschen sein können, und diskutieren die Wechselwirkungen der künstlichen Entfernung einer Spezies zugunsten einer anderen. In all den Jahren, die sie in Bibliotheken, Seminarräumen und an ihrem Schreibtisch im Studentinnenwohnheim damit zugebracht hat, Arbeiten zu schreiben und sich das Leben in der freien Natur vorzustellen, hätte sie sich das nicht träumen lassen. Aber es fühlt sich gut an. Es fühlt sich richtig an. Sie ignoriert A. P. und sagt: »Natürlich ist mir das klar. Wenn wir den Raben dieses Nahrungsangebot bereitstellen, wird ihre Zahl exponentiell ansteigen, und wenn es dann keine Kadaver mehr gibt, werden sie hungern und sterben, aber nicht ohne vorher noch jedes Nest ausgeraubt zu haben, das sie ausrauben können. Sie werden hinter allem her sein, was sich bewegt … aber das Risiko müssen wir eingehen. Ich meine, darum geht es ja eigentlich, oder?«
    Frazier nickt. »Ich wollte nur darauf hinweisen«, sagt er. Und fügt hinzu: »Keine Sorge.«
    Einer der Hunde winselt. Der Regen, der etwas nachgelassen hatte, wird wieder stärker. A. P. kniet und kaspert noch immer und sagt: »Nein, ich glaube, für den hier kommt jede Hilfe zu spät.« Clives Hände hängen herab, und von der Falte in der Krempe seines Huts rinnt ein Bach. »Was ich, ökologisch betrachtet, nicht verstehe«, sagt er, »ist, warum wir nicht zusehen, dass wir ins Trockene kommen.«
    Das Mittagessen, das sie unter einem Baldachin aus leuchtendblauem Kunststoff einnehmen, den Frazier auf dem Sims über ihnen mit Steinen belastet und mit an den Ästen eines Eisenholzbaums befestigten Seilen abgespannt hat, besteht hauptsächlich aus Trockenfleisch, Trockenfrüchten und Müsliriegeln, obwohl jeder der Männer auch ein in Frischhaltefolie gewickeltes Sandwich dabeihat und Alma ein halbes Dutzend vegetarische Cheese Wraps beisteuert, die sie für eine Gelegenheit wie diese vor Tagesanbruch in ihrer Küche gemacht hat. Sie haben ein Feuer angezündet, und dafür ist sie dankbar, denn sie zittert, und ihr Sweatshirt ist ganz durchnässt und hängt an einem Stock, damit es trocknet oder wenigstens dampft, und sie hat auch keinerlei Bedenken wegen des strikten Verbots offener Feuer – nicht hier, in diesem Regen. Frazier lässt seinen Flachmann herumgehen, und wie alle anderen setzt sie den kalten metallenen Hals an die Lippen, trinkt einen brennenden Schluck und spürt, wie die Flüssigkeit durch ihre Kehle und in den Säuresee in ihrem Magen rinnt, Feuer auf Feuer. Von dort wird sie in ihr Blut übergehen, mit dem sie ins Gehirn transportiert wird, um das Lustzentrum zu massieren, und hinab in ihren Bauch, wo sie durch den Embryo fließen wird, ihre Tochter, die gut daran tut, sich schon mal darauf einzustellen, denkt sie. Ein Schluck. Was kann daran so schlimm sein?
    »Woran denkst du, Alma?« fragt Frazier und stochert im Feuer.
    »Ich weiß nicht. An nichts, glaube ich.«
    »Noch einen Schluck?«
    »Nein«, sagt sie und winkt ab. Doch dann spürt sie, wie sie anfängt zu grinsen. »Ach, was soll’s, warum nicht?« Noch ein Schluck, noch ein Brennen. Sie fühlt sich unbekümmert, sie hat etwas zu feiern, sie hat sich bewährt, dies war ihre Bluttaufe – nennt man das nicht so? Müsste Frazier nicht ein Taschentuch in das Blut des Keilers tauchen und es auf ihre Stirn tupfen?
    »Das ist die richtige Einstellung«, sagt A. P., als sie ihm den Flachmann reicht. Sie spürt jetzt nicht nur, dass seine Blicke auf ihr ruhen, sondern auch, dass seine ironischen Bemerkungen einen respektvollen Unterton haben, etwas Gezwungenes, als könnten er, Clive und Frazier trotz dieser scheinbaren Verbundenheit nicht vergessen, dass sie diejenige ist, die sie bezahlt.
    Der Regen scheint noch stärker zu werden, sofern das überhaupt möglich ist. Alle vier stinkenden, nassen Hunde haben sich ebenfalls unter den Baldachin gedrängt. Es ist eng. Der tote Keiler, ein dicker, zottiger Haufen, der einen Steinwurf weit entfernt zu verwesen beginnt, ist der einzige, der zu dieser Party nicht eingeladen ist, auch wenn er in gewisser Weise der Ehrengast ist. Es ist kühl. Sie rückt näher ans Feuer.
    Lange Zeit sagt keiner etwas. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach, lauscht auf den Regen und das Feuer, spürt das Leben ringsum, das Leben der Wildnis, das hier Minute für Minute, Tag für Tag weitergeht, ob sie nun da sind, um es zu bemerken, oder nicht. Der Brandy ist in ihrem Gehirn angekommen. Sie erschauert, beugt sich vor und greift nach

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