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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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bis in den März, doch der Regen hörte abrupt auf, und in den Bergen fiel zwanzig Prozent weniger Schnee als sonst, was für den Sommer Wasserknappheit verhieß. Meteorologen sprachen über die Auswirkungen der globalen Erwärmung – als ob irgendeine Jahrszeit, für sich allein genommen, irgendwelche Rückschlüsse auf irgend etwas anderes als sie selbst zuließe –, und im Press Citizen stand eine Reihe aufgeregter Artikel über schmelzende Polkappen, das allmähliche Versinken der Malediven und die Gefahr von Tsunamis an der kalifornischen Küste, und das war auch ganz gut so, wenn es die Leute nur zum Nachdenken brachte. Dann war es April, eine immer wärmere Sonne kroch mit jedem Tag höher über den Himmel, und obwohl Alma wusste, dass sie für einen letzten ergiebigen Regen beten sollte, freute sie sich doch über die Gelegenheit, einen Strandspaziergang zu machen und Gesicht und Beine von der Sonne bescheinen zu lassen. Nach der grauen Tristesse des Winters und allem, was sie durchgemacht hatte, fühlte sich das besonders gut an. Diese Gerichtssache war ausgestanden und hatte sich aufgelöst wie eine Tablette in einem Glas Wasser, als hätte es sie nie gegeben. Maria Campos hatte Wort gehalten: Der Richter hatte die Klagen gegen sie und Frazier, Clive und A. P. abgewiesen. Und warum? Weil es keinen Klagegrund gab, weil die Klage nicht schlüssig war, und auch der Staatsanwalt hatte das eingesehen und auf Rechtsmittel verzichtet.
    Auf den April folgte ein grauer Mai, und jetzt, in der ersten Juniwoche, ist die Sonne verschwunden und der Himmel trüb. Die Juni-Trübheit. Es ist das vorherrschende Muster des Wetters um diese Jahreszeit: Der Hochnebel hängt den größten Teil des Tages über dem Meer und löst sich, wenn überhaupt, erst am späten Nachmittag auf. Es ist die Zeit, in der die Menschen an der Küste am anfälligsten für jahreszeitlich bedingte Affektstörungen sind, und das kann sie absolut nachvollziehen. Es ist ein La-Niña-Jahr, das Wasser ist kälter als sonst, und das bedeutet, dass die Wolkendecke, die über der Wohnanlage, dem Strand und dem größten Teil der Innenstadt, ganz zu schweigen vom Park-Service-Gebäude, von ganz Ventura und Oxnard liegt, noch dichter ist als sonst. Almas Gegenmaßnahme besteht darin, so oft wie möglich den Schreibtisch zu verlassen und hinauszufahren auf die Insel, die für sie zu einer Art Zufluchtsort geworden ist, besonders die Hauptranch, die mehr Sonne bekommt als Scorpion.
    Dort ist sie auch jetzt. Sie liegt im hinteren Zimmer der Field Station auf dem Rücken und schließt die Augen. Nur für eine Minute. Es ist halb sieben am Abend, und bald wird es Essen geben, wenn sie den alles durchdringenden Geruch von bratendem Knoblauch, Ingwer und Frühlingszwiebeln richtig deutet, der aus der Küche herüberweht, wo die beiden verbleibenden Fuchswärterinnen Marguerite und Allison einen Wok voller Tofu und Fisch zubereiten. Sie hört Stimmengemurmel aus dem großen Zimmer, Gelächter, jemand spielt ein paar Akkorde auf der Gitarre. Es werden etwa ein Dutzend Leute am Tisch sitzen: Frazier, Annabelle, ein paar Jäger (Schweinemänner und Fuchsfrauen haben sich im Lauf des Jahres in verschiedenen Kombinationen zu Paaren zusammengefunden, und wer könnte es ihnen verdenken?) sowie der eine oder andere Biologe, Archäologe und Handwerker. Es herrscht ein guter Gemeinschaftsgeist, jeder tut, was gerade zu tun ist, heute koche ich, morgen kochst du.
    Sie werden wohl Wein trinken. Wein ist hier das Sakrament, und wenn man den ganzen Tag im Gelände unterwegs war, ist er ein geradezu unverzichtbares Sakrament. Sie sieht sie vor sich, wie sie, über den Raum verteilt, dasitzen, die diversen, nicht zueinander passenden Gläser einschenken, Witze reißen, sich angeregt unterhalten, Klatsch erzählen, über ihre Feldforschungen reden, über Politik, Skandale, Sexgeschichten und alles mögliche, das ihnen in Abwesenheit von Fernsehen und Handys durch den Kopf schießt. Almas Freunde. Ihre Familie. Die Leute, die mit ihr und unter ihrer Leitung nach den strengen Regeln wissenschaftlicher Forschung gearbeitet und keineswegs leichtfertig innerhalb von nur fünfzehn Monaten 5036 verwilderte Schweine getötet haben, ohne dass irgendwo auf der Insel Spuren irgendwelcher Überlebender auszumachen wären. Gleich wird sie sich mühsam erheben und hinübergehen. Sie wird essen – sie kann sich nicht erinnern, jemals so hungrig gewesen zu sein wie in den vergangenen Wochen –,

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