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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gehorcht der Schwerkraft und fällt ihr ins Gesicht, bis dieses im Schatten liegt. Sie weiß nicht, wie lange sie so dasitzt, hoffnungslos, zusammengesunken, auf ihre zusammengepressten Knie unter dem marineblauen Stoff der Hose starrend, die sie für den Gerichtstermin angezogen hat, die Knie, die er gestreichelt und liebkost hat, die Oberschenkel … Wo ist er? Hätte er nicht anrufen können? Eine Nachricht hinterlassen? Irgendwas? Irgend etwas, was darauf hindeutet, dass sie einander etwas bedeutet haben, dass sie fünf Jahre im selben Bett geschlafen haben? Es ist obszön. Ein Witz. Es ist falsch, ganz und gar falsch.
    Später, viel später schafft sie es, vom Bett aufzustehen, und geht schlurfend durch die Wohnung wie eine Patientin auf der chirurgischen Station, streicht mit dem Finger über Tische und Stühle und sucht nach einer Spur von Tim. Die Nachricht ist da, sie war die ganze Zeit da. Alma findet sie in der Küche, sie liegt, mit dem Wetzstein beschwert, auf dem Schneidbrett. Ein Blatt Papier, einmal gefaltet, darin zwei Schlüssel: ein Hausschlüssel und der Reserveschlüssel des Prius. Die Nachricht besteht aus drei Sätzen:
    Alma –
    ich liebe Dich, ich werde Dich immer lieben, aber wenn Du das durchziehen willst, wirst Du es allein tun müssen. Du kannst den Wagen haben, ich brauche ihn nicht – nach dem Projekt auf den Farallon-Inseln werde ich wohl für den Sommer weiter nach Norden ziehen und für einen Ornithologen an der University of Fairbanks arbeiten. Was danach kommt, weiß ich noch nicht.
    Tim
    Der Lachsgeruch bereitet ihr Übelkeit, doch sie zwingt sich zu essen. Die Küche ist zu hell erleuchtet, ein freudloser Ort, absolut still. Danach legt sie, um sich abzulenken, die ausgeliehene DVD ein, kann dem Film aber nicht folgen. Nichts als Geräusch und Bewegung. Sie hasst Tim, ja, sie hasst ihn, und sie ist froh, dass sie herausgefunden hat, wie er wirklich ist, bevor es zu spät war. Und sie hasst auch das Baby in ihr, diesen Embryo, dieses Ding, das er dort eingepflanzt hat, dieses Leben, noch ein Leben mehr. Als die Uhr sie dazu auffordert, geht sie zu Bett, doch sie kann nicht schlafen. Sie kann ihre Mutter nicht anrufen. Und Tim wird sie nicht anrufen.
    Am nächsten Morgen ist alles noch schlimmer. Sie muss eingenickt sein und geträumt haben, erinnert sich aber nur daran, dass sie flach auf dem Rücken gelegen und an die Decke gestarrt hat, während das Tageslicht sich in den Raum schlich, als würde es sich schämen. Es ist Dienstag, ein Arbeitstag, doch sie geht nicht zur Arbeit. Nein, sie muss etwas anderes tun: Sie quält sich aus dem Bett, entleert ihre Blase, lässt das allmorgendliche Kotzritual über sich ergehen, wäscht sich das Gesicht und bürstet sich den sauren Geschmack aus dem Mund, zieht sich an und fährt in die Stadt. Zur Klinik. Sie ist in der zwanzigsten Woche schwanger und noch nie dort gewesen, nicht einmal daran vorbeigefahren, seit Tim im vergangenen November davon gesprochen hat. Sie weiß nicht mal, wann die Sprechzeiten sind und ob sie gleich einen Termin bekommen wird. Oder, um genauer zu sein: ob man dort Spätabbrüche durchführt. Sie weiß nur, dass der Fötus bei einem Abbruch in diesem Stadium mit Hilfe von Instrumenten und einer Zange entfernt werden muss und dass man danach eine Absaugung und schließlich eine Ausschabung vornehmen wird, um sicherzugehen, dass in der Gebärmutter keine Gewebereste mehr sind. Ihre Gebärmutter ist voll, das ist das Problem, sie drückt von innen nach vorn, bläht sie auf, lässt den Bauch anschwellen und ihre Kleider schrumpfen, und diese Leute, wer immer sie sind – irgend jemand, ein Arzt in einem grünen OP-Kittel –, müssen ihn leeren und machen, dass alles weg ist. Das ist der Sinn der Sache. Das ist der Plan.
    Sie kann an nichts anderes denken, als sie sich in den Verkehr auf der Schnellstraße einreiht: Sie sollen machen, dass alles weg ist. Sie hat nichts im Magen, nicht einmal Kaffee oder einen trockenen Toast. Trotzdem ist die Übelkeit da und kratzt in der Kehle, als wollte sie mit spitzen Krallen herausklettern. Rings um sie her zischen andere Wagen dahin. Der Morgen ist schön, aufgeladen mit Sonne, und der Regen hat die Pflanzen an der Straße grün gemacht, doch das nimmt sie kaum wahr. Sie sieht den Asphalt, den Stahl und das Chrom der Wagen, die giftigen Abgaswolken, die aufsteigen, als der unvermeidliche Stau kommt und die Kette der Bremslichter aufleuchtet. Lastwagen. Minivans. Abfall auf

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